Hamburger Winterreise :
Der Herr des guten Tons

Am Buß- und Bettag gehen Hamburger Künstler in St. Petri auf eine „Winterreise“ zugunsten von Hinz&Kunzt. Mit dabei ist der Musiker, Dirigent und Komponist Claus Bantzer.

(aus Hinz&Kunzt 237/November 2012)

In Hamburg ist Claus Bantzer vor allem als Kirchenmusiker bekannt. Schon als Kind übte er die Schubert-Lieder der „Winterreise“ am Klavier ein. Offen ist er aber auch für Jazz, für Filmmusik, für Hip-Hop: „Die Qualität muss stimmen.“

Musik ist sein Leben. Und so ist es kein Wunder, dass Claus Bantzer die Hände einfach nicht vom Klavier lassen kann, wenn da eines steht. Nun sitzt der drahtige Mann im Pullover im eisig kalten Altarraum von St. Johannis in Harvestehude und spielt so selbstvergessen und so anrührend schön, dass man ihn gar nicht stören möchte.

33 Jahre lang war er als Organist und Chorleiter an dieser Kirche tätig und prägte maßgeblich die Hamburger Kirchenmusik. Mit Musik Menschen zu berühren, das ist das Lebensthema des 70-Jährigen. „Für mich ist wichtig, dass ich mit meinem Beruf etwas bewege“, sagt der Musiker, Komponist und Dirigent. Seit vier Jahren ist er nun im sogenannten Ruhestand, doch davon ist nicht viel zu spüren. Proben, Tourneen mit dem von ihm gegründeten Harvestehuder Kammerchor und Konzerte halten den Künstler auf Trab. Bantzer macht weiterhin das, was ihn fordert und interessiert – so wie die „Hamburger Winterreise“ in St. Petri zugunsten von Hinz&Kunzt. Gemeinsam mit anderen Künstlern führt er dort Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ auf, ergänzt mit Erfahrungsberichten von wohnungslosen Menschen.

„Diese Schubert-Lieder habe ich mit sieben, acht Jahren im Klavierunterricht gespielt“, erzählt Bantzer. „Ich fand sie sehr eindrucksvoll in ihrer Melancholie und dem Farbenreichtum der Musik.“ Obwohl die Verhältnisse in den Kriegs- und Nachkriegsjahren für die Familie schwierig waren, so spielten Kunst und Musik immer eine große Rolle. Die Eltern waren beide Kunstmaler, Claus Bantzer wurde in Marburg als das jüngste von fünf Kindern geboren. An seinen Vater habe er keine bewusste Erinnerung mehr, sagt er, er sei aus dem Krieg nicht zurückgekommen.

Die Mutter musste allein zurechtkommen. „Der große Garten, den wir hinter unserem kleinen Haus hatten, der hat uns gerettet“, erzählt Bantzer. Bei der Erinnerung an die großen Obstbäume, an Gemüsebeete und Bohnenranken kommt er regelrecht ins Schwärmen. „Ich hatte eine herrliche Kindheit“, sagt er bestimmt – trotz allem. Dass sie zusammenrücken mussten, zum Teil auf Matratzen auf dem Boden schliefen, „das machte uns gar nichts. Viele Hände helfen viel, da packte auch jeder mit an.“ Und jeder machte Musik und beschäftigte sich mit Kunst. Zwei Schwestern wurden später Geigerinnen, eine andere Malerin, der Bruder Christoph machte als Schauspieler Karriere. Claus Bantzer blieb seiner Liebe, der Musik, treu; mit 16 verließ er die Waldorfschule, schaffte die verfrühte Aufnahmeprüfung zum Musikstudium in Frankfurt und ging später nach Hamburg.

Viel hat er erreicht in seiner Karriere, und immer noch macht er Pläne. Nach Chile würde er gern reisen. Seine Mutter wurde dort geboren, denn sein Großvater war Ende des 19. Jahrhunderts dorthin ausgewandert und baute sich eine Existenz auf. „Er war abenteuer- und unternehmungslustig“, erzählt Bantzer. Und hochmusikalisch: In Chile baute er ein Musikhaus und ließ sogar einen Flügel aus Europa kommen.

Vermutlich kommt Claus Bantzer mit seinen vielen Inte-ressen ein bisschen nach ihm. Er schätzt Jazz, engagiert sich in Crossover-Projekten mit Ballett oder Theater, schrieb Filmmusik für Doris Dörrie, bekam den Bundesfilmpreis und kann sich vorstellen, auch mal mit Rappern zu arbeiten: „Die Qualität muss stimmen.“ Claus Bantzer ist ein guter Zuhörer und ein großer Kommunikator. Das kommt ihm vor allem beim Dirigieren zugute, das ihn besonders fordert und beglückt. „Das ist eine psychologische Geschichte“, erklärt der zierliche Mann mit den asketischen Zügen. „Man muss als Dirigent sehr sensibel auf Stimmungen reagieren können.“ Mit einem Chor sei das Arbeiten allerdings einfacher als mit einem Orchester, „denn das Singen und Atmen macht schon von sich aus positiv!“

Auch wenn Bantzer beinahe zerbrechlich wirkt – „ich war schon immer so“, – ist er doch beneidenswert fit: Jeden Morgen macht er Yoga, schon seit Jahren, „auch wenn ich manchmal keine Lust dazu habe“, sagt er und schwingt sich vor der Kirche auf sein Mountainbike.

Text: Misha Leuschen
Foto: Daniel Cramer 

Hamburger Winterreise, u.a. mit Jens Harzer, Christina Schmid, Georgette Dee& Terry Truck; Hauptkirche St. Petri, 21.11, 19.30 Uhr. Eintritt frei.
Weitere Infos unter www.deutsche-winterreise.de