Seit 1987 wird auf der ganzen Welt der „Internationale Tag zur Überwindung extremer Armut“ begangen. In diesem Jahr zum 25. Mal. Angestoßen hat ihn ein Mann aus Frankreich, der Armut am eigenen Leib erfahren hat: der Priester Joseph Wresinski.
17. Oktober 1987, Paris. Auf dem Trocadero-Platz haben sich rund 100.000 Menschen versammelt. Der Ort atmet Geschichte: 1948 wurde genau hier die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet. Es sind Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten gekommen. Alle vereint jedoch ein Ziel. Sie wollen sich stark machen für die, die in Armut leben müssen.
Sie alle sind dem Aufruf eines Mannes gefolgt, der selbst in bitterster Armut aufgewachsen ist. Sein Name: Pére Joseph Wresinski, Beruf: Priester. Die Mutter Spanierin, der Vater Pole kamen als Migranten nach Frankreich. Als der Vater die Familie verließ, musste die Mutter Joseph und seine Geschwister alleine durchbringen – unter schwierigsten Bedingungen. Dennoch gelang es ihr, Joseph eine Ausbildung als Konditor zu ermöglichen.
Doch weil der Menschen helfen wollte, denen es so wie ihm und seiner Familie ergangen war, schulte er zum Priester um. 1946 erhielt er die Priesterweihe. Zehn Jahre nahm er die Arbeit auf in einer Notunterkunft für Obdachlose in Noisy-le-Grand, wo damals 250 Familien lebten. Später schrieb er darüber: „Die Familien, die ich hier antraf, erinnerten mich an das Elend meiner Mutter, die Kinder, die mich vom ersten Augenblick an umdrängten, das waren meine Brüder, das war meine Schwester, das war ich selbst, vierzig Jahre zuvor in der Rue Saint-Jacques in Angers.“
Wresinski will erreichen, dass diese Familien gehört werden. Dass ihr Elend nicht vergessen wird. Er gründet eine Vereinigung, die heute als Aide à Toute Détresse (deutsch: Hilfe in größter Not, ATD) bekannt ist. Am 17. Oktober 1987 ruft er auf, in Paris für die Ärmsten zu demonstrieren. Es ist die Geburtstsunde des Weltarmutstages.
An diesem Tag wird auch eine Gedenktafel Trocadero-Platz errichtet. Sie ist „allen Opfern von Hunger, Unwissenheit und Gewalt“ gewidmet. Über die Jahre sind Nachbildungen in vielen weiteren Städten eingeweiht worden, unter anderem auch in Berlin. Darauf eingraviert die Worte von Joseph Wresinski: „Wo immer Menschen dazu verurteilt sind, im Elend zu leben werden die Menschenrechte verletzt.“ Armut ist kein persönliches Schicksal, so Wresinski, sondern „eine zentrale Frage unserer Demokratie.“
1992 erklärten die Vereinten Nationen den 17. Oktober offiziell zum „Internationalen Tag zur Überwindung extremer Armut“. Joseph Wresinski erlebte diese Ehre nicht mehr. Er starb 1988 im Alter von 71 Jahren. Sein Ziel, den Armen der Welt eine Stimme zu geben, lebt fort.
Text: Simone Deckner, mit Material von ATD
Fotos: ATD
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