Geschichten aus der Schwarzwaldklinik

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)

Wie wird in privaten Kliniken gearbeitet? Diese Frage bewegt die Hamburger, seit der Senat den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser beschlossen hat (und einen anders lautenden Volksentscheid ignoriert). Glossen-Autor Klaus Lenuweit durfte exklusiv einen Blick in Deutschlands bekannteste Privatklinik werfen. Das Haus im Schwarzwald zeigt: Personal in Privatkliniken kann sich mit 65 noch lange nicht zur Ruhe setzen. Und: Auch Gesundheit muss heute als Show-Event vermarktet werden.

Der 116 Jahre alte Chefarzt Klaus-Jürgen wird im Rollstuhl von der Witwe Sch. in sein Büro geschoben und vor dem Aquarium abgestellt, wo er prompt einschläft. In den kurzen Wachphasen schaut er auf die Fische, sagt: „Na, wie geht’s uns denn heute?“ und schläft wieder ein. Währenddessen sortiert Schwester Verona die Tabletten nach Farben.

Eine alte Dame, die sich das linke Bein gebrochen hat, bekommt vom Pfleger Daniel eine Halskrause verpasst und wird in den Abstellraum geschoben. Die Tür schließt sich hinter ihr, urplötzlich wird der Abstellraum in gleißendes Licht gehüllt, Musik erklingt, und aus dem Hintergrund des Raumes, auf einem Dreirad fahrend, erscheint Roberto Blanco mit seinem Lied „Ein bisschen Spaß muss sein.“

Auf dem Parkplatz der Klinik unterzieht sich Susan St. einer Darmspiegelung und erzählt einem Reporter der BILD-Zeitung, dass sie demnächst bei einem Radrennen mitmacht. Und zwar gehe es darum, wer als erster mit dem Fahrrad durch die Kanalisation von Köln nach Hamburg kommt. Diesmal sei sie aber nicht bereit, Costa Cordalis den Sieg zu überlassen.

In der Wellness-Abteilung der Schwarzwaldklinik massiert unterdessen Schwester Uschi G. mehrere Patienten und cremt sie mit ihrer eigenen Creme ein, worauf sofort Pickel und Pusteln am ganzen Körper entstehen. Chefarzt Klaus-Jürgen wird sie später mit einem fleischfarbenen Edding übermalen, wobei ihm Witwe Sch. die Hand führt.

Feierabend in der Schwarzwaldklinik. Durch einen Schlag ins Gesicht von Witwe Sch. schreckt der Chefarzt Klaus- Jürgen aus seinem Schlaf und schreit: „Der Nächste bitte.“ Witwe Sch. und Klaus-Jürgen fahren in einem speziell für sie reservierten Krankenwagen in ihre 20-Zimmer-Villa. Sie selber bewohnen nur fünf Zimmer, fünf Zimmer sind mit Sauerstoffflaschen gefüllt, die restlichen zehn Räume werden von Ex-Ehefrauen samt ihren Anwälten bewohnt. Zwei Sanitäter tragen den Chefarzt ins Haus. Er schreit: „Nicht wieder hauen“ und schläft ein.

Klaus Lenuweit

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