(aus Hinz&Kunzt 137/Juli 2004)
„Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehrenamt dir geben“, reimte einst Wilhelm Busch. Rund 460.000 Hamburger kümmert das nicht: Sie engagieren sich in Sportvereinen, Schulen, Kirchengemeinden oder im Umweltschutz. Anlass für Hinz & Kunzt, „Blitzlichter“ zum Ehrenamt zu sammeln.
Pluspunkt bei der Bewerbung
„Besonders am Anfang der Berufslaufbahn spielen Angaben über das ehrenamtliche Engagement in den Bewerbungsunterlagen eine Rolle. Ein junger Mensch, der sich um einen Ausbildungsplatz bewirbt, zeigt, dass er soziale Kompetenz mitbringt. Ob er bei der freiwilligen Feuerwehr oder beim Arbeiter-Samariter-Bund war, ist nicht so entscheidend. Später sind bei einer Bewerbung die Berufsstationen wichtiger. Wenn sich allerdings zwei gleich gut Qualifizierte auf eine Stelle melden, werde ich den nehmen, der über größere soziale Kompetenz verfügt. Da ist der persönliche Eindruck im Gespräch entscheidend, und Ehrenämter sind natürlich ein Pluspunkt.“ Dr. Hans-Joachim Bartels (51) ist Personalleiter bei der Beiersdorf AG.
Signal an Arm und Reich
„Meinen freien Vormittag nutze ich für die ehrenamtliche Arbeit. Ich mache es gern und aus einem inneren Bedürfnis: um Zeichen zu setzen für Hilfsbedürftige, Arme und Schwache. Und um Zeichen zu setzen für die Reichen, Gesättigten, dass es noch etwas anderes gibt als Geld und Wohlstand. Es ist meine christliche Überzeugung, den Nächsten zu helfen. Seit sieben Jahren bin ich dabei und habe es nicht bereut.“ Stanislaw Nawka (44), ist Arzt für Allgemeinmedizin, hat eine Praxis in Hamburg-Bergstedt. Jeden Mittwoch ist er mit der Mobilen Hilfe der Caritas unterwegs, betreut und versorgt Odachlose. Seine Arbeitszeit liegt zwischen 75 und 80 Wochenstunden.
Job ohne Bezahlung
„Ich habe mir bewusst eine ehrenamtliche Tätigkeit gesucht, um etwas Sinnvolles zu tun, und arbeite jetzt beim Handy-Notruf für Frauen, die Gewalt erfahren haben. Wir sind ausgebildet, bekommen Supervision, und wir sind ein nettes Team. Grundsätzlich müsste eine solche Arbeit bezahlt werden. Aber es ist im Moment im sozialen Bereich sehr schwierig, Geld aufzutreiben. Ehrenamtlich oder hauptamtlich: Den Betroffenen ist das egal. Sie brauchen Unterstützung. Und ich selbst denke: Ich muss etwas tun, sonst bewegt sich nichts.“ Sonja Horstmann (46), Arbeit suchend, engagiert sich ehrenamtlich beim Notruf von Patchwork.
Viel besser als Nichtstun
„Solange kein Job in Aussicht ist, arbeite ich ehrenamtlich. Sonst würde ich abhängen, den Tag verpennen oder mich langweilen. Ich habe zwischendurch Arbeit gehabt, doch es wird immer schwieriger, Jobs zu finden. Im „Cafée mit Herz“ komme ich mir ein bisschen wichtig vor, ich werde gebraucht. Es war ein gutes Gefühl, als ich gefragt wurde, ob ich helfen möchte. Es wird ja auch nicht jeder gefragt.“ Susanne Böllecke (36), Betriebsschlosserin und technische Zeichnerin, ist seit Sommer 2003 arbeitslos. Seit Anfang des Jahres arbeitet sie täglich acht Stunden ehrenamtlich in der Obdachlosen- Begegnungsstätte „Cafée mit Herz“ auf St. Pauli.
Domäne der Hausfrauen
„Unsere Ehrenamtlichen in der Aidsseelsorge sind vor allem Frauen. Denn Ehrenamtliche wollen meist das einbringen, was sie auch sonst gut können. Die meisten Frauen, die konventionell aufgewachsen sind und in der traditionellen Rolle mit ihrer Familie leben, fühlen sich im Zwischenmenschlichen besonders kompetent. Und oft sind sie es, die überhaupt Zeit für ein Ehrenamt finden, wenn die Kinder groß oder aus dem Haus sind. Insofern ist das Ehrenamt eine Verlängerung der Hausfrauenrolle. Aber mit dem Unterschied, dass Frauen ihre Fähigkeiten dort anders einbringen können und Anerkennung für etwas erfahren, das in der Familie als selbstverständlich angesehen wird. Sie erleben für sich einen Zugewinn, weil ihr Horizont weiter und ihr Leben reicher wird.“ Pastorin Christel Rüder (46) arbeitet in der evangelischen Aidsseelsorge. Unterstützt wird sie von zehn Ehrenamtlichen. Acht von ihnen sind Frauen.
Geben und bekommen
Verena: „Nach den Pfadfinder-Gruppenstunden bin ich oft kaputt und schaffe nichts mehr für die Schule. Aber das macht nichts, denn die Pfadfinderei bringt uns raus aus dem Alltag und ich habe so viel Spaß mit den Kindern. Ich habe das Sagen, mache das Programm und brauche trotzdem nicht autoritär zu sein. Und wenn die Gruppe gemeinsam etwas geschafft hat und alle Spaß haben, fühle ich mich gut!“
Nils: „Jede Woche entwickeln sich die Kinder weiter. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Familienverhältnissen. Ich kann ihnen in ihrem Alltag eine Stütze geben und zeigen, dass Gemeinschaft wirklich funktioniert. Dabei bin ich mir sicher, dass auch ich etwas von den Kindern bekomme.“ Verena (15) und Nils Langhain (16) gehen auf die Sophie-Barat-Schule und sind ehrenamtliche Jugendgruppenleiter beim Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder VCP).
Unprofessionelle Helfer
„Ich bin eines Abends überfallen worden. Der Täter wurde gefasst und angeklagt; ich trat als Nebenklägerin auf. Damit ich meine Anwältin bezahlen konnte, habe ich mich an einen Verein gewandt, der einen in solchen Fällen finanziell mit einem so genannten Beratungsscheck unterstützt. Ich meldete mich bei einer ehrenamtlichen Helferin des Vereins. Sie empfing mich zu Hause in ihrem Wohnzimmer, was ich erst komisch, dann unangemessen fand. Ich sollte erzählen, was mir passiert war – mal eben am Kaffeetisch. Ich wurde das Gefühl nicht los, da mache ich jemandem sein Leben spannend. Dabei wollte ich nur um finanzielle Hilfe bitten. Was es für professionelle Anlauf- und Beratungsstellen gibt, an die ich mich wenden könnte, um den Überfall emotional zu bewältigen, das erzählte mir die Ehrenamtliche nicht.“ Regina Meinhard (Name geändert) arbeitet im sozialen Bereich
Ehrenamtlich unanständig
„Ob wir schon schlechte Erfahrungen mit Ehrenamtlichen gemacht haben? Da habe ich in zwei Jahrzehnten einiges erlebt. Einer wollte in einer Behinderten-Wohngruppe mitarbeiten, weil er dort seine Wäsche waschen konnte. Ein anderer sollte einen Bewohner bei einer kurzen Reise begleiten, verschwand dann aber mit dessen Geld. Wieder andere waren auf Fahrtkostenerstattung und Mittagessen aus. Manchmal drängten sich Ehrenamtliche am Anfang geradezu auf – nach einiger Zeit blieben sie ohne Erklärung weg. Aber das sind Ausnahmen. Wir betreuen unsere mehr als 200 Freiwilligen sehr intensiv: Es gibt ein ausführliches Erstgespräch, eine halbjährige Schnupperphase und regelmäßige Fortbildungen.“
Hartmut Siemsen (Name geändert) koordiniert seit 20 Jahren die Freiwilligenarbeit einer großen sozialen Einrichtung in Hamburg.