Von der Schwierigkeit, gute freiwillige Helfer im Fußball zu finden – und zu halten
(aus Hinz&Kunzt 137/Juli 2004)
Schön ist der Pokal nicht. Ein zu groß geratenes Trinkgefäß mit einer Drahtspirale drum rum gewickelt. Mitgebracht hat ihn die HSV-Jugendmannschaft. Sie müssen ihn heute verteidigen gegen die Roten von Concordia II. Beide Mannschaften laufen sich schon mal warm. Hausherr der Sportanlage Dulsberg Süd ist diesmal Frank Schein; Abgesandter des Hamburger Fußballverbandes und zuständig für Gewaltprävention im Jugendbereich. Am Herzen liegen ihm die Ehrenamtlichen oder wie er sie nennt – die Verhafteten. Frank Schein sagt: „Wer einmal nach dem Training den Ball wegräumt, der wird verhaftet.“ Wird mehr oder weniger sachte bedrängt, zu übernehmen, was es an Aufgaben gibt: Trikots waschen, Spielbericht schreiben, eine Kindermannschaft trainieren. Gleich ganz ein Ehrenamt zu übernehmen. Nicht aus freien Stücken, sondern weil es einer eben machen muss.
Und das genau sind die Probleme: missmutige Trainer und gelangweilte Betreuer, die oft nur das Nötigste machen. Schein schätzt ihre Zahl unter den Ehrenamtlichen auf gut 75 Prozent. Noch schwieriger wird es bei ehrenamtlichen Schiedsrichtern, diejenigen, die auf dem Platz dafür sorgen, dass es fair und gerecht zugeht. Bekanntlich gibt es zu jeder Schiri-Entscheidung mindestens zwei Meinungen. Wenn es denn nur bei Meinungen bliebe! Manchmal geht einer den Schiedsrichter hart an. Springt ihm an die Gurgel. Auch nach Spielende. Es ist nicht die Regel, passiert aber. Und färbt nicht selten ab auf die Spieler, die nun meinen, ein Sieg ließe sich auch anders als mit dem Ball erringen.
Im Prinzip ist jede Hamburger Mannschaft verpflichtet, Schiedsrichter zu stellen. Aber die Jugendlichen wollen spielen. Sie wollen nicht entscheiden und vermitteln und sich hinterher noch anhören, welche Pfiffe die falschen waren.
So muss Frank Schein immer wieder auf „Verhaftete“ zurückgreifen. Er wiegt den Kopf. Er will nicht „Luschen“ sagen oder „Nichtskönner“. Doch woher soll er Schiedsrichter nehmen oder Trainer oder Betreuer? In der Hand hat er nicht viel. Aber auch nicht wenig: eine Ausbildung an zwei Wochenenden. „Dann ist man aber noch kein guter Schiedsrichter.“ Gefordert ist Einsatz, Engagement und die Fähigkeit zur Selbstkritik.
Es ist keine Frage, dass es im Amateurfußball nie um eine Bezahlung gehen kann, die sonst für Motivation sorgt. Die Zahl macht es deutlich: In Hamburg trainieren 1850 Jugendmannschaften. Ehrenamtliche im Fußball zu halten, das verlangt von den Vereinen, von Spielern und Trainern, aber auch von den Zuschauern, die am Rande stehen und brüllen, dass sie mit ihnen achtsam umgehen. Sie schätzen und ehren. Keiner von den Verhafteten ist Tarek Khemiri. Er ist freiwillig als Schiedsrichter im Einsatz und fühlt sich trotzdem nicht immer wohl in seiner Haut. Immer sei der Schiedsrichter der Depp. „Da können die Spieler sich 100 Fehlpässe geben und der Torwart hat zehnmal daneben gegriffen – wenn der Schiedsrichter einmal falsch gepfiffen hat, hat er das gesamte Spiel verrissen.“
Auf dem Platz ist von Tareks Resignation nichts zu spüren. Tarek läuft mit weit ausholenden Schritten zum Mittelkreis; seine beiden Linienrichter positionieren sich an der Linie. In der ersten Halbzeit gibt Tarek drei gelbe Karten: Einer zieht einem am Trikot, länger als es üblich ist. Ein anderes Mal fährt einer seinen Ellenbogen aus. Und es gibt es eine Gelbe, als längst abgepfiffen ist und plötzlich der Ball mit Macht in den blauen Himmel geschossen wird. Tarek wird später sagen: „Hätte den Ball ja liegen lassen können; wäre doch kein Problem gewesen.“ Pfeifen, das heißt nicht nur klare Regelverletzungen ahnden, sondern Autorität herstellen.
Halbzeit. Etwas trinken, kurze Manöverkritik. Hier und dort hätte Tarek schneller abpfeifen können, er sieht das auch so. Um seinen Hals baumeln eine blaue und eine rote Pfeife. Passend zu den Trikots der beiden Mannschaften. Das Spiel wird ihm und seinen Linienrichtern keine Probleme bereiten. Die beiden Mannschaften sind dafür bekannt, dass es mit ihnen keinen Ärger gibt. Noch dazu tritt das Trio souverän auf. Frank Schein steht am Spielfeldrand und nickt zufrieden. Das Publikum genießt die Abendsonne und schaut still zu. Nur einer versucht beständig, sich in Rage zu bringen: „Das pfeift man doch nicht … Das muss der doch pfeifen!“ Niemand steigt ein. Abrupt dreht er sich um, macht sich davon. Und Schlusspfiff. Die HSVer können ihren Pokal wieder mitnehmen.