Eine Reinbekerin züchtet Peking-Palasthunde mit erlauchter Ahnentafel
(aus Hinz&Kunzt 136/Juni 2004)
Debbie hält Sicherheitsabstand. Aber aus der Entfernung kläfft sie wie blöde. Dabei spuckt sie ein bisschen. Von den Wänden und Wohnzimmer-Fliesen hallt das Gebell zurück. Ein Höllen-Lärm für so einen kleinen Pekinesen. Ein Fellbündel auf kurzen Beinen. Und nicht gerade ein Benehmen, das einer Adeligen würdig ist.
Aber Suntoy Debbie Trumps upp – so lautet ihr vollständiger Name – ist wahrhaft blaublütig. Auch wenn das „von“ im Namen fehlt. Wenn die 39-jährige Züchterin Gabriele Runge die Ahnentafeln ihrer derzeit fünf Hunde zurückverfolgt, landet sie irgendwann im alten China. Denn bei dem Sturm der Briten auf den kaiserlichen Palast im Jahre 1860 nahmen die Eroberer fünf Pekinesen mit. Genauer: Pekingesen. So schreiben Kenner den Namen dieser Rasse. Bis dahin waren die heiligen Hunde – der Sage nach eine Mischung aus Affe und Löwe – nie über die Schwelle des Palastes hinausgekommen. Auf das Schmuggeln der Tiere stand die Todesstrafe.
Die letzte Herrscherin über das chinesische Reich, Tzu Hsi, pflegte zu jedem ihrer Kleider einen farblich passenden Pekinesen zu tragen. Der Körper ihrer Zwerghunde, so soll die Kaiserin verlangt haben, musste geformt sein wie der eines Löwen, der Beute sucht. Um den Hals „einen bauschigen, würdevollen Mantel“ und über dem Rücken „eine bauschige Standarte des Pompes“, den Schweif. Die Ohren angesetzt wie die Segel einer Kriegsdschunke, die Nase platt gedrückt wie die des Affengottes der Hindus. Der so genannte Löwenhund sollte stolz sein, sich würdig verhalten, zahm und lebhaft zugleich, und einen erlesenen Geschmack haben – nämlich Haifischflossen, Brachvogelleber und Wachtelbrust fressen.
Mit ihren fünf gestohlenen Pekinesen begannen nun also auch britische Adelshäuser, Palasthunde zu züchten. Nach und nach führten sie weitere Kurzbeiner aus Fernost ein. Und eines Tages reiste Gabriele Runge nach England, um sich dort ihre erste Zuchthündin Highmead Pippin at Oakmere zu kaufen. Mit diesem Tier und einem ebenfalls adeligen Rüden gründete die Bürgerliche ihren Zwinger.
Obwohl historische Bilder beweisen, dass die chinesischen Hunde viel kürzeres Fell trugen: Kaiserin Tzu Hsi hätte ihre Freude an den Peking-Palasthunden der Reinbekerin gehabt. Nur der inzwischen zehn Jahre alte Rüde Suntoy Earl Grey durfte sich nie auf einer Ausstellung zeigen – und folglich keine Welpen zeugen. Dabei ist er ein „Blauer Pekinese“, und diese Fellfarbe ist höchst selten. Doch einer seiner Hoden war bei der Geburt zu klein. Und die Regeln des Vereins Deutsches Hundeswesen (VDH), der über die Ahnentafeln aller Rassehunde in Deutschland wacht, sind streng. Ein Rüde muss auf einer Ausstellung die Note „vorzüglich“ erhalten, um zur Zucht zugelassen zu werden. Das schafft er nicht nur mit dem richtigen Aussehen und Verhalten, er muss auch kerngesund sein.
Die anderen Suntoys haben dagegen alle erdenklichen Preise abgeräumt. Vorne weg Debbie, die unter anderem deutscher, dänischer, holländischer, belgischer und internationaler Champion wurde. Demnächst will die 11-Jährige noch den Veteranen-Titel holen. Vermutlich gewinnt sie: Wie auch die anderen Oldies – Debbies Mutter ist mittlerweile 14 Jahre alt – ist sie in bester Verfassung. Kein Schnaufen, kein Prusten kein Watscheln. „Ein Pekinese, bei dem die Lunge im Brustkorb kaum Platz hat und der deshalb schnauft, hat auf einer Hundeschau keine Chance“, wehrt Runge Vorurteile gegenüber dieser Rasse ab. Sie selbst ist ausgebildete Richterin auf Hundeschauen und weiß, worauf sie achten muss. „Wenn die Tiere Bewegung haben, haben sie auch Muskeln, und dann macht ihnen selbst Treppen steigen nichts aus“, sagt sie. Ein Ausdauer-Sportler wird aus dem Zwerghund freilich nie. Dafür sorgte schon Kaiserin Tzu Hsi. Sie liebte die krummen Vorderbeinchen der Tiere, weil sie auf ihnen den Palast nicht verlassen mochten.
So wäre alles zum Besten, liefe nicht die Zeit davon. Die edlen Tiere sind alt. Zu alt, um sich noch fortzupflanzen. So stirbt die kostbare Linie aus. Der Beruf forderte Gabriele Runge zu lange heraus. Die Assistentin einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft hatte keine Zeit, sich um die Zucht zu kümmern.
Doch nun ist sie erneut nach England gereist und hat Daisy Kettlemere Fantasia mitgebracht. Eine neun Monate alte, beigefarbene Edeldame mit schwarzer Maske. Im kommenden Jahr soll der Jugendchampion gedeckt werden. Schon ist ihr Gatte auserkoren. Der lebt in Köln und entstammt ebenfalls einem Adelsgeschlecht. Also keine Liebesheirat? „Mögen müssen sie sich schon“, meint Gabriele Runge. „Schließlich muss der Rüde selber rauf.“ Künstliche Befruchtung ist laut VDH-Statut verboten. Dennoch ist der Zukünftige sorgfältig gewählt. Denn: „Das Geheimnis für die Zucht gesunder und schöner Tiere“, so die Reinbekerin, „liegt im Studium der Ahnentafel.“