In diesem Bus versammelt sich das bunteste Völkchen Hamburgs: Vielleicht heißt die Metrobuslinie 13 deshalb „Die Wilde 13“. Die Kulturanthropologin Kerstin Schaefer hat das Buch zum Bus geschrieben.
(aus Hinz&Kunzt 235/September 2012)
Kerstin Schaefer sieht aus wie viele der jungen Leute, die in den vergangenen Jahren nach Wilhelmsburg gezogen sind: coole Kurzhaarfrisur, bunte Klamotten, Stofftasche. Ziemlich einzigartig ist hingegen ihre Vorliebe für die Metrobuslinie 13. Die Linie durchquert einmal die Elbinsel. Kerstin hat ihre Magisterarbeit über den Bus geschrieben, den hier alle nur „Die Wilde 13“ nennen. Jetzt erscheint ihre Arbeit als Buch.*
Nirgendwo ist Hamburg mehr multikulti als in Wilhelmsburg: Von den rund 50.000 Einwohnern haben fast 35 Prozent einen ausländischen Pass. 38 Prozent der Einwohner leben in Sozialwohnungen. Es gibt überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger und überdurchschnittlich viele junge Leute. Viele Hamburger sagen: Zu weit weg. Kerstin sagt: „Es ist ein schroffer Stadtteil.“
In der 13 treffen sich früher oder später fast alle Wilhelmsburger. Die Linie beginnt an der S-Bahn Veddel und endet in Kirchdorf-Süd. Jeden Tag fahren rund 27.000 Menschen mit. „Beförderungsfälle“, wie sie die Hochbahn ungelenk nennt. Für Kerstin ist die 13 mehr als nur ein Bus: „Die 13 ist ein Brennglas.“ Hier spiele sich auf engem Raum ab, was auch draußen passiert: Kulturen prallen aufeinander, Alteingesessene auf Zuzügler, Alt auf Jung, Arm auf Aufstrebend.
Busfahrer Manfred Jankowski sagt: „Entweder man hasst die 13 oder man liebt sie.“ Kerstin hat ihn interviewt, wie andere Mitfahrer auch – als rollende Reporterin. Die Interviewten – so bunt wie der Stadtteil: 1-Euro-Jobber, Migranten, IBA-Angestellte. Die Meinungen pendelten zwischen Extremen: „Entweder es ist einem zu voll, zu eng, zu laut und zu heiß. Oder man denkt: ‚Wow, was kann ich hier alles sehen und erleben‘“, fasst Kerstin ihre Eindrücke zusammen.
„Es fahren auch viele Ängste und Vorurteile mit“, hat sie festgestellt. Eine Postangestellte gestand ihr, dass ihr die 13 wie ein „Oklahoma-Bus“ vorkomme: „Ich habe das schon gehabt, dass da zwei Weiße im Bus waren und 18 Farbige.“ Wohnen würde die Frau hier eher nicht. Aber sie grüßt jeden im Bus. Oder eine Bekannte der Autorin. Die bekam es mit der Angst zu tun, als sie einen Vollbärtigen sah, der im Koran las. „Der sah so aus, als würde er gleich den Bus in die Luft sprengen.“ Alltäglicher Rassismus.
Aber auch das erlebte Kerstin: dass die Seniorin Frau Schmalfuß die „höflichen Migranten“ lobte. „Von den Ausländern oder auch von farbigen Menschen wird mir eher ein Platz angeboten als von anderen“, freut sich die 63-Jährige.
Viele Zugezogene würden in den ersten Wochen „eine Art Kulturschock“ bekommen. Weil sie die scheinbar einzigen Frauen ohne Kopftuch im Bus sind. Weil sie nicht einschätzen können, ob die Afrikaner sich gleich prügeln oder nett umarmen. Im Bus gibt es kaum ein Entkommen von all den Eindrücken. „Im Bus werden die Menschen und Mikrokosmen miteinander vermengt“, sagt die Buchautorin.
„Stressig“ sei es im Bus öfters. An Silvester etwa hält die 13 nicht mehr an der Endstation Kirchdorf-Süd, seitdem sie von Jugendlichen mit Böllern beworfen wurde. Generell aber fühlen sich die Befragten in der 13 „total sicher“. Vor allem, weil sie den Busfahrern vertrauen. Sie wirken beruhigend. Die Fahrer vermissen jedoch oft das Interesse der Fahrgäste. „In dem Moment, in dem was passiert, schreien alle nach dem Busfahrer“, sagt Herr Albrecht. Er fährt seit fast einem Vierteljahrhundert Bus. Und ist sich sicher: Den meisten seien er und seine Kollegen „egal“. Nur ungewöhnliche Fahrer fallen auf, bestätigt Kerstin: Die Busfahrerin mit den blonden Locken. Oder der Schwarze, den die Kollegen „Captain Jack“ nennen. Weil er immer stolz seine Busfahrermütze trägt.
Die Alteingesessenen beschäftigt derweilen etwas anders: Sie fürchten, dass sich ihr Stadtteil verändern könnte, Stichwort: IBA, Stichwort: wachsende Stadt. Die alten Schrebergärten sollen weg. Fraglich, wie lange man sich eine Altbauwohnung im Reiherstiegviertel noch leisten kann. Auch Kerstin beobachtet, wie sich „ihr“ Stadtteil verändert. Wegziehen ist aber keine Option – jedenfalls die nächsten Jahre nicht. Sie will wissen, wie es weitergeht mit Wilhelmsburg. Und der wilden 13.
Text: Simone Deckner
Foto: Mauricio Bustamante
Am Sonntag, den 2.9., 16 Uhr, liest die Autorin auf dem Stübenplatz, in Wilhelmsburg. Dazu gibt es Grußworte von Andy Grote und Margret Markert, Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg. Musik: RJ Schlagseite. Der Eintritt ist frei.
*„Die Wilde 13 – Durch Raum und Zeit in Hamburg-Wilhelmsburg“, Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg, 12 Euro