Wird das Winternotprogramm für Obdachlose eingeschränkt? Laut NDR soll es weniger Plätze geben, Osteuropäer seien unerwünscht. Die Sozialbehörde bestreitet das allerdings vehement. Sollten sich die Gerüchte bestätigen, wäre das eine Katastrophe.
In Hamburg gibt es rund 1500 Obdachlose, und es werden immer mehr. Viele Menschen aus Osteuropa kommen in die Hansestadt auf der Suche nach einem besseren Leben – und landen auf der Straße. Im Winter ist es dort besonders ungemütlich und gefährlich. Zuletzt sind vor zwei Jahren drei Obdachlose auf Hamburgs Straßen erfroren. Damit das nicht passiert, gibt es das Winternotprogramm der Sozialbehörde. Im vergangenen Jahr konnten in einem Gebäude in der Spaldingstraße 230 Menschen Unterschlupf finden, insgesamt gab es 362 Übernachtungsplätze. Gerüchten zu Folge sollen es in diesem Jahr nur 160 Plätze sein, obwohl die 230 schon nicht ausgereicht haben. Osteuropäer sollen vor der Aufnahme ins Programm zwingend eine Beratungsstelle aufsuchen, in denen ihnen die Heimreise nahegelegt werden soll. Mittlerweile ist von „Zangsberatung“ die Rede. Soweit die Gerüchte.
Mit einem Artikel in der „taz“ fing die Debatte an. Am 7. August schrieb die Zeitung unter dem Titel „EU-Ausländer raus“, Hamburg wolle Osteuropäer, die hier keine Wohnung fänden, „künftig verstärkt zur Heimreise drängen.“ Sozialbehördensprecherin Nicole Serocka sagte der Zeitung, das Ziel des kommenden Winternotprogramms sei, „die Bedarfe derjenigen Obdachlosen, die ihre Lebensperspektive in Hamburg haben, zu decken.“ Es gehe nicht darum, „eine kostengünstige Übernachtung für alle Personen gleichermaßen zur Verfügung zu stellen.“ Zu deutsch: Wer zugereist ist, soll nicht ins Winternotprogramm. Die Sozialbehörde dementierte diese Interpretation allerdings umgehend: „Der Erfrierungsschutz gilt selbstverständlich für alle Obdachlosen – egal welche Nationalität sie haben“, zitierte die taz am Tag darauf Serocka. Die mögliche Rückkehr in die Heimatländer sei freiwillig und werde von der Sozialbehörde lediglich finanziert.
Doch die Gerüchte hielten sich. Auch Hinz&Kunzt erfuhr von Plänen, das Winternotprogramm im kommenden Winter auf 160 Plätze zu begrenzen – aus durchaus glaubhafter Quelle. Wir fragten bei der Sozialbehörde nach, die dementierte erneut. Genaue Platzzahlen des Winternotprogramms wolle man nicht nennen: „Das werden wir – wie im vergangenen Jahr auch – situationsbezogen jeweils kurzfristig nach Bedarf entscheiden“, reagierte Serocka auf unsere Anfrage.
Am Montagabend legte dann das Hamburg-Journal im NDR nach. Die Reporterin will „aus Behördenkreisen“ erfahren haben, dass an den Gerüchten doch etwas dran ist. „Es wird nur noch 160 Plätze geben. Ein Stockwerk wird gestrichen“, heißt es in dem Beitrag. Experten für Obdachlosigkeit erklären, dass das viel zu wenige sind und dass deswegen womöglich erneut Obdachlose erfrieren könnten. Auch die „Zwangsberatung“ für osteuropäische Obdachlose wird wieder ins Spiel gebracht, die abschreckende Wirkung einer solchen für das Winternotprogramm kritisiert.
Sozialbehörde: Erfrierungsschutz gilt für alle
In der Sozialbehörde stößt der NDR-Bericht auf großes Unverständnis. Sobald das Programm umgesetzt werde, würden sich die Vorwürfe als Gerüchte entpuppen, sagt Behördensprecherin Nicole Serocka auf Hinz&Kunzt-Nachfrage. Eine „Zwangsberatung“ für osteuropäische Obdachlose werde es nicht geben, unterstreicht sie. Eine Beratung für Menschen, die oft durch falsche Versprechungen von Schleppern nach Hamburg gelockt würden, sei freiwillig. Die Osteuropäer sollten vor skrupellosen Arbeitgebern gewarnt werden, die sie oft für einen Hungerlohn beschäftigen würden. „Das ist für diese Menschen ein konkretes Hilfsangebot, das selbstverständlich nicht mit Sanktionen verbunden ist.“
Auch die Bettenzahl werde im kommenden Winter nicht begrenzt sein. Zwar starte das Winternotprogramm mit nur 160 Plätzen in der Spaldingstraße. Sollte es einen größeren Bedarf geben, werde aber entsprechend aufgestockt. „Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht und würden das gerne erneut so praktizieren“, sagt Serocka. Deswegen könne die Behörde auch erst im April 2013 sagen, wieviele Plätze insgesamt angeboten worden sind. „Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass der Erfrierungsschutz nach wie vor für alle Menschen gilt, die obdachlos sind und ein Dach über dem Kopf brauchen – unabhängig davon, welche Nationalität sie haben.“
Hinz&Kunzt hofft, dass die Sozialbehörde ihr Versprechen hält. „Wir zählen auf das Wort der Behörde“, sagt unser Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Sollten die Gerüchte sich doch bestätigen, wäre das eine Katastrophe für die Obdachlosen dieser Stadt.“ Denn angesichts der aktuellen Entwicklungen müsste das Winternotprogramm eigentlich ausgebaut und nicht abgebaut werden.
Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante