Schauspieler August Diehl über Selbstzweifel, Applaus und Kritiker
(aus Hinz&Kunzt 135/Mai 2004)
Und plötzlich ist er da. Steht in 70er-Jahre-Retro-Turnschuh- Stiefeln, Military-Jacke und rotem Rucksack im Schummerlicht der Schauspielhauskantine. „Hallo, ich bin August“, sagt er beim Händedruck. Wirft seinen Rucksack schwungvoll auf die lange Bank und quetscht sich vorbei an leeren Tischen zum Sitzplatz. Das wenige Licht in der Kantine bündelt sich an dieser Stelle zum Spotlight: August Diehl im Rampenlicht. Die Papiertragetasche knistert: Sushi-Häppchen vom Hauptbahnhof. Diehl isst gekonnt mit Stäbchen. Nur die Sojasoße fehlt. Gerade ist er mit dem Zug aus Berlin gekommen, in drei Stunden steht er als „Don Karlos“ auf der Bühne des Schauspielhauses.
H&K: August, du hast fünf Stunden „Karlos“ vor dir. Ist der Kopf da überhaupt noch frei?
August Diehl: Eigentlich nicht! (lacht) Gleich kommen ja die anderen Spastis auch noch dazu.
H&K:Spastis?
Diehl:: Na, die ganzen anderen Leute, die hier noch mitmachen. Ist zärtlich gemeint. Und irgendwann springt dieser innere Motor an. So um halb vier nachmittags. (Hilfe, jetzt ist es schon kurz nach drei!) In der Stimmung könnte man mich nichts mehr fragen, da bin ich woanders.
H&K: Hast du manchmal Angst, auf die Bühne zu gehen?
Diehl: Es gibt typische Albträume: Man stolpert durch eine dunkle Gasse, kommt plötzlich auf eine Bühne, Tausende von Leuten sind da, und man muss ein Stück spielen, das man nicht kennt. Man ist halt immer aufgeregt, ob alles klappt, ob man nicht einen Schwächeanfall kriegt oder einen Blackout. Den kriegt das Publikum oft nicht mit, aber man selber stirbt tausend Tode in einer Sekunde.
H&K: Gibt es bei dir schauspielerische Schwächen?
Diehl: Ganz sicher. Die kenn’ ich auch. Aber welche es sind, sage ich bei meinem Leben nicht. (lacht sehr laut)
H&K:Dein Vater spielt in „Don Karlos“ den spanischen König Phillip II., deinen super-strengen Bühnen-Vater. Wie ist es, mit dem eigenen Papa auf der Bühne zu stehen?
Diehl: Schön. Das war von Anfang an sehr gut.
H&K:Auch wenn er den Feind spielt?
Diehl: Gerade dann.
H&K: Wieso?
Diehl:Schiller ist ein unglaublich starker Gift-Poet. Der hat so viel Gift in seinen Versen und so viel Wut. Und diese Worte sind manchmal ein Segen. Auch wenn man sie dem eigenen Vater sagen darf.
H&K: Mit deinen 28 Jahren hast du fast alles abgeräumt, was ein junger Schauspieler mitnehmen kann: „Deutscher Filmpreis“, „Nachwuchsschauspieler des Jahres“, „European Shooting Star“ und noch viel mehr.
Diehl: Ja, das ist immer wie ein Geburtstagsgeschenk. Das Tolle an solchen Preisen ist: Sie sind ein Trosthalter für Zeiten, wenn es einem nicht so gut geht. Dann denkt man: Guck mal, das hast du schon. Aber sie sind überhaupt kein Garant dafür, dass man gut ist. Das muss man immer wieder neu erarbeiten.
H&K: Zweifelst du oft an dir selber?
Diehl: Hört man das nicht? (lacht)
H&K:Magst du dich selber im Kino sehen?
Diehl: Bedingt. Man hat eine große Vorstellung, was aus einer Sache wird. Wenn man es dann selber sieht, ist es ganz anders. Diese Zwiespältigkeit halte ich manchmal nicht aus. Da gehe ich lieber raus. Es gibt allerdings auch Filme, die ich mir sehr gerne ansehe: „Was nützt die Liebe in Gedanken“ oder „23“.
H&K: „Don Karlos“ kam bei den Kritikern nicht immer so gut weg.
Diehl: Diese Journalisten würde ich mir gerne mal vorknöpfen. Das Meiste, was geschrieben wird, ist nicht intelligent. Weit unter dem Niveau einer dreimonatigen Arbeit, wie wir sie bei „Don Karlos“ hatten. Da merkt man: in einer Nacht hingewischt. Arrogant. Keiner kritisiert, sondern man schimpft oder jubelt. Es gibt überhaupt keine Kritiker mehr. Von einer Theaterkrise reden die ja immer. Ich würde sagen: Es gibt auch eine Kritiker-Krise, eine heftige.
H&K: Wehrst du dich dagegen?
Diehl: Ach, das will ich gar nicht. Ich lese zwei Kritiken und vergesse das schnell wieder. Wie das Publikum bei „Don Karlos“ beim Applaus ist, das ist das Gegenteil. Und das zählt tausend Mal mehr, als was die Leute schreiben.
H&K: Auf Fotos guckst du immer so ernst.
Diehl: Wahrscheinlich schmeißen die alle lachenden Fotos weg, weil ich darauf nicht gut aussehe, und nehmen die ernsten. (lacht laut)
H&K: Bist du denn tatsächlich so ein ernster Typ? Oder ist das der „Medien-August“?
Diehl: Ich mache das nicht für die Medien. Ich versuche, jedem Journalisten ernsthaft zu antworten, und die finden das einen ernsthaften Typen. Ich glaube, ich bin nicht übertrieben ernsthaft.
H&K: Hast du ein Lebensmotto?
Diehl: Nein, ich habe keine Mottos.
H&K: Oder Vorsätze an Neujahr?
Diehl: Geduldiger zu sein. Ich bin oft ungeduldig. (Es ist jetzt fünf nach halb vier. Der Motor läuft.)
H&K: In welchen Situationen?
Diehl: Ach, in allen. Wenn bei der Arbeit etwas nicht schnell genug geht. Auch mit mir selbst bin ich sehr ungeduldig.
H&K:Zum Schluss noch ein paar Sätze, bei denen du das Ende ergänzen musst.
Diehl: Oh! Das hasse ich.
H&K: Wenn ich nicht Schauspieler wäre…
Diehl:: Würde ich woanders leben.
H&K: Und wo?
Diehl: Ich mach’ nur die Sätze fertig.
H&K: Warum hasst du denn solche Sätze?
Diehl: Weil das genau solche Sätze sind wie: Hast du ein Lebensmotto? Ich kann das nicht auf den Punkt bringen. Man wird dadurch nur ein Achtel von mir sehen.
H&K: Alles klar. Hier die Möglichkeit zur Revanche: Interviews sind für mich…
Diehl: Arbeit.
Erleichtert, dass die Fragerei ein Ende hat, packt August Diehl seine Sushi-Reste in die Tüte. Ganz unten liegt die Soja-Soße. „Siehste. So ein Mist“, flucht er leise. Dann schwingt er sich den Rucksack über die Schulter, drückt ein „Tschüs“ auf die Handfläche und will in Richtung Garderobe verschwinden – als ein Kollege vom Radio ihn aufhält: „Mit mir hast du auch nicht so viel Arbeit.“