Die Hamburgerin Ulla und der Ghanaer Daboh fanden sich nach jahrelanger Trennung wieder
(aus Hinz&Kunzt 135/Mai 2004)
Nach seiner plötzlichen Abschiebung verlor Hinz & Künztlerin Ulla jede Spur von ihrem Verlobten Daboh. Niemand glaubte, dass sie ihn je wiedersehen, geschweige denn heiraten würde. Nur sie selbst.
Ulla zittert plötzlich am ganzen Körper. Sie liegt auf dem Bett in ihrer Wohnung und spürt, dass etwas mit Daboh nicht stimmt. Ihr Verlobter sitzt in Abschiebehaft. Ulla rennt zum Telefon. Aufgeregt wählt sie die Nummer des Anwalts, der dafür sorgen soll, dass der Ghanaer in Hamburg bleiben darf. Vom Anwalt erfährt sie: Daboh sitzt nicht mehr im Gefängnis, sondern längst im Flugzeug nach Ghana. Abgeschoben – ohne sich verabschieden zu können. „Ich war in einem Schockzustand. Auf einen Schlag war der Kampf vorbei, aber auch die Hoffnung war weg, dass doch noch alles gut wird“, beschreibt die 62-Jährige heute das Gefühl, das sie 1993 hatte. Damals sah es so aus, als ob die Liebesgeschichte von Ulla und Daboh schon zu Ende wäre.
Kennen gelernt hatten sich die beiden erst wenige Monate zuvor. Ulla geht es zu dieser Zeit schlecht, vor kurzem war ihre Ehe geschieden worden. „Warum geht bei mir immer alles kaputt?“ Um diese Frage drehen sich die Gedanken der gelernten Arzthelferin. Sie fühlt sich einsam, „dabei war ich voller Sehnsucht nach Liebe und Leben.“ Um nicht so allein zu sein, erlaubt sie zwei befreundeten Afrikanern, mit in ihre Wohnung zu ziehen. Das macht Ullas Leben noch schwieriger, oft gibt es lautstarken Streit, bis sich die Nachbarn beschweren. Außerdem laden sich beide oft Besuch ein. „Bei mir ging es zu wie im Taubenschlag“, sagt Ulla.
Dann passiert das, was Ulla einen „spirituellen Moment“ nennt: Sie wacht morgens auf mit der festen Überzeugung, heute dem Mann ihres Lebens zu begegnen. Sie erzählt es ihren beiden Mitbewohnern. Die erwarten heute Besuch: Daboh. „Als ich ihn sah wusste ich, das ist der Mann, den ich heiraten werde.“ Auch Daboh ist angetan. Es passt einfach. „Die Liebesgeschichte von Daboh und mir ist voller solcher Momente“, sagt Ulla. Momente, die sie fest glauben lassen, dass zwischen Daboh und ihr eine innere Verbindung besteht.
Daboh war in der demokratischen Opposition in Ghana aktiv, setzte sich für die Rechte der Armen in seinem Dorf ein. Bei sich trägt er ein in Plastik eingeschweißtes Dokument, das ihn als UN-Mitarbeiter ausweist. Für andere Menschen da zu sein, ihnen zu helfen, das genau ist auch Ullas Ding. Außerdem sind beide gläubig. „Wer so wie wir an Gott glaubt, verliert nie ganz die Hoffnung, weil wir sicher sind, dass noch etwas kommt“, sagt Daboh. Darin ist sich der heute 54-Jährige mit Ulla einig. Auf einen Schlag ist in Ullas Leben wieder Glück.
Allerdings bleibt den beiden wenig Zeit. Ulla überzeugt Daboh, der illegal in Hamburg lebt, seit sein Asylantrag abgelehnt wurde, sich der Polizei zu stellen. Schließlich haben beide fest vor zu heiraten. Ulla glaubt, eine Verlobung reiche, damit Daboh bleiben darf. Doch er wird sofort verhaftet. Als sie Daboh im Gefängnis besucht, schreit sie aus Wut und Schmerz, bis die Beamten sie beruhigen können. Ein paar Tage später der Anruf beim Anwalt, die Gewissheit: Daboh ist weg. Beim Erzählen weint Ulla, weil die Erinnerung an diese Zeit wieder übermächtig wird.
Es folgen drei Jahre, in denen Ulla nichts von Daboh hört. In denen es mit ihr bergab geht. „Ich hatte immer das Gefühl, dass der Platz neben mir leer ist. Ich lebte mit ihm, obwohl er nicht da war“, sagt Ulla über diese Jahre. Irgendwann traut sie sich nicht mehr in ihre Wohnung, in der sie alles an Daboh erinnert. Und landet schließlich ganz auf der Straße. Während der ganzen Zeit hört sie nicht auf, von Daboh zu erzählen. „Alle hielten mich für verrückt“, sagt Ulla. Manche glauben sogar, dass Daboh nur in Ullas Phantasie existiert. Die Jahre ohne Kontakt vergehen. Daboh hat keine Möglichkeit, Ulla zu erreichen, die ohne Wohnung auch keine Adresse mehr hat. Und Ulla begreift nicht, warum Daboh nicht einfach zurückkommt: „Ich wusste nicht, dass man nach einer Abschiebung für Reisen nach Deutschland gesperrt ist.“
Dann passiert wieder ein spiritueller Moment. Ulla begegnet einem Ghanaer, der Daboh kennt – und auch das afrikanische Dorf, in dem er lebt. Noch viel wichtiger: Er gibt ihr eine Telefonnummer. Ulla ruft an. Mehrere tausend Kilometer entfernt wird Daboh zum Kommunikationscenter seines Dorfes gerufen: ein Ferngespräch, eine Frau. Daboh erkennt die Stimme sofort. „Ich hatte so oft zu Gott gebetet: Bitte, bring mir meine Frau zurück“, erzählt Daboh. „Zehn Minuten lang konnten wir beide nicht sprechen, sondern haben nur geweint.“
Und Ulla bekommt ihr Leben in Hamburg wieder in den Griff. Sie verkauft Hinz & Kunzt, findet eine Wohnung. Und lässt sich von einem Ziel nicht abbringen: Sie will nach Ghana. Zu Daboh. Aber es vergehen weitere Jahre, in denen beide nur per Brief und Telefon Kontakt haben. Eine Kirchengemeinde spendiert ihr 1998 schließlich den Flug. „Ich bin nachts um halb drei in Ghana angekommen“, sagt Ulla. Daboh holt sie am Flughafen ab: „Wir waren das perfekte Liebespaar.“ Von der Hauptstadt Accra fahren sie mit dem Auto fünf Stunden bis Kumasi, Dabohs Heimatdorf.
Hier lernt Ulla das Leben kennen, das Daboh führte, bevor er nach Hamburg kam. In Kumasi leben die meisten Menschen in einfachen Häusern, nur wenige haben Strom. Obwohl Ulla wegen der hygienischen Bedingungen und dem ungewohnten Klima krank wird, fühlt sie sich zuhause. Sie wird von Dabohs Familie – er hat vier Kinder aus einer früheren Beziehung – begeistert empfangen. „Ich liebe sie, und sie lieben mich“, sagt Ulla und holt Fotos aus ihrer Tasche, die sie im Kreis ihrer afrikanischen Familie zeigen. Die älteste Tochter hilft, Ulla für die Hochzeit zurecht zu machen. Denn was in Deutschland nicht möglich war, holen Ulla und Daboh in Ghana nach. „Da wurde unsere unterbrochene Liebesgeschichte zu einer Ehegeschichte“, sagt Ulla und lacht.
Ulla bleibt drei Monate in Afrika, dann fliegt sie wieder nach Deutschland. Daboh kommt 2001 nach, so lange brauchen die Behörden. Heute leben beide zusammen Hamburg. Und obwohl das Eheleben oft nicht einfach ist, schmieden sie Zukunftspläne: „Wir wollen etwas für mein Dorf tun.“ In Deutschland leben, Kontakte aufbauen und Geld auftreiben, um in Kumasi vielleicht eine Solaranlage zu bauen oder eine Schule zu finanzieren. Ulla, seit ihrer Zeit in Ghana „mit dem Afrika-Virus“ infiziert, will mithelfen. Und Daboh sagt: „Wir bleiben zusammen, weil wir glauben, dass Gott etwas mit uns vorhat.“