Wachtmeisterin, Protokollführer und Zaungäste
(aus Hinz&Kunzt 134/April 2004)
Die Wachtmeisterin
Lieber nicht aufs Foto: Gabriele Schill
Wer ist im Gerichtssaal? Den Überblick hat Gabriele Schill. Die Wachtmeisterin meldet den Richtern, wenn alle Beteiligten an ihren Plätzen sind, sie holt die Zeugen herein und passt auf, dass Kamerateams nicht in den Saal filmen. Die 35-Jährige war Notargehilfin, bevor sie 1996 zur Justiz wechselte. Vor kurzem stieg sie zur Ersten Justizhauptwachmeisterin auf. Den vierten Stern, der ihr dafür zusteht, wird sie demnächst an ihrer Jacke befestigen.
H&K: Im Plenarsaal des Landgerichts, einem Ihrer Einsatzorte, wurde wegen Rechtsbeugung einst gegen Richter Ronald Schill verhandelt. Deshalb die klassische Frage: Sind Sie verwandt oder verschwägert mit dem Angeklagten?
Gabriele Schill: (lacht) Nicht dass ich wüsste.
H&K: Es gibt Großverfahren mit etlichen Angeklagten, von denen jeder noch zwei Anwälte mitbringt. Wie behalten Sie da die Übersicht?
Schill: Das ist nicht immer leicht. Die Anwälte gehen raus und rein, die können wir ja nicht festschnallen. Aber viele Gesichter kennen wir. Und bei großen Verfahren machen auch mal zwei Wachtmeister Sitzungsdienst.
H&K: Die gefährlichste Situation, die Sie erlebt haben?
Schill: Ab und zu musste ich mal laut werden gegenüber Angeklagten. Doch ansonsten haben wir aggressive Situationen mit etwas Fingerspitzengefühl immer rechtzeitig in den Griff bekommen – toi, toi, toi.
H&K: Warum wollen Sie sich nicht fotografieren lassen?
Schill: Keiner von uns Wachtmeistern möchte das. Denn es laufen genug Angeklagte aus den Großverfahren frei herum. Manchmal drohen sie uns im Gerichtssaal: Wenn wir dich draußen auf der Straße sehen, dann…
Der Protokollführer
Einer hört immer zu: Rolf Kukuk
Rolf Kukuk führt seit 1973 Protokoll bei den Strafkammern des Landgerichts. Der 64-Jährige liebt seinen Job: „Man ist überall dabei.“ Das war er auch schon, bevor er bei der Justiz anfing. Der gelernte Schneider fuhr zur See, war Jazzpianist, Lkw-Fahrer und Forstpraktikant.
H&K: Sind Sie ein Schnellschreiber?
Rolf Kukuk: Beim Landgericht machen wir keine wörtliche Mitschrift, sondern dokumentieren nur den Gang der Hauptverhandlung. Dafür mache ich mit der Hand Eintragungen in unsere gelben Protokollblätter. Auch wenn ein Angeklagter fünf Stunden aussagt, muss ich nur einen einzigen Satz schreiben: „Der Angeklagte sagte zur Sache aus.“ In der nächsten Instanz wird nämlich nicht mehr über Tatsachen, sondern nur noch über Rechtsfehler verhandelt. Da reicht diese Art von Protokoll.
H&K:Wie kämpfen Sie dann gegen die Langeweile?
Kukuk: Ich höre angestrengt zu, auch wenn ich gar nicht mitschreiben muss. Das ist meine Taktik. Wenn man erst mal abschweift und an den Urlaub denkt, wird es gefährlich.
H&K: Warum wird die Verhandlung nicht einfach auf Band aufgenommen?
Kukuk: Das ist im Strafverfahren nicht erlaubt – Manipulationsgefahr! Die Strafprozessordnung schreibt einen Protokollführer vor. Die offizielle Bezeichnung ist „Urkundsbeamter der Geschäftsstelle“.
H&K: Welche Verfahren sind die schwersten für Sie?
Kukuk: Alle Fälle, in denen Kinder Opfer sind. Wenn Kinder zu Missbrauch oder Körperverletzung aussagen müssen, weil die Angeklagten die Tat bestreiten, durchleben sie alles noch einmal. Erschüttert hat mich auch, als eine junge Türkin verurteilt wurde, die einen Drogenkurier gefahren hatte. Sie bekam dafür zehn Jahre und stand mit Weinkrämpfen im Gerichtssaal.
H&K:Haben Sie den Alarmknopf unter Ihrem Tisch schon mal gebraucht?
Kukuk: Als ein Angeklagter nach der Urteilsverkündung seinen Stuhl zertrümmerte, wurde vom Richtertisch Alarm gegeben. Da waren dann sehr schnell ein paar kräftige Herren da.
Die Zaungäste
„Das ist echt hier. Kein Fernsehen“
Sie haben nichts verbrochen – und möchten doch im Verborgenen bleiben: die „Zaungäste“. Regelmäßig gehen sie in Gerichtsverhandlungen, obwohl sie weder Angeklagte, Anwalt noch Zeuge sind. Denn, so eine Mittfünfzigerin mit roten Schuhen und dicken Brillengläsern, die sich gerne vom Prozessinhalt überraschen lässt: „Das ist echt hier. Das ist kein Fernsehen!“
Schon am frühen Morgen streifen sie durch die Gänge des Strafjustizgebäudes am Sieveking-Platz auf der Suche nach einer spannenden Verhandlung. Man erkennt sie an ihrer Kleidung, die etwas zu leger ausfällt für den ehrwürdigen Ort: Anorak statt Anzug, Stoffbeutel statt Aktentasche. Manche kommen nur bei schlechtem Wetter, andere gern zu Urteilsverkündungen, so ein Justizbediensteter, der sich darüber nicht wundert: „Hier ist es warm, und es gibt kostenlose Unterhaltung.“
Einige haben eine Mission zu erfüllen. So wie die klein gewachsene, kräftige Rentnerin mit der goldgerandeten Brille, die täglich ins Gericht kommt und es als „Störenfrieda“ schon bis ins Fernsehen geschafft hat, weil sie Hamburgs Polizei mit Strafanzeigen und selbst gedrehten Video-Aufnahmen überschwemmt. Sie besucht ausgewählte Prozesse, jene, in denen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz verhandelt werden, denn: „Mich nerven die Dealer vor meiner Haustür!“
Andere frönen ihren Vorlieben. Jener ältere Herr etwa, der unter Richtern als „Der Verehrer“ bekannt ist. Er kommt immer donnerstags, „weil seine Frau dann putzt und ihn aus dem Haus schickt“, wie ein Richter kolportiert. Und er geht immer nur zu den Prozessen einer, „seiner“ Richterin. Ihnen allen scheint eines gemein: Es ist ihnen peinlich, dass sie sich an einem Ort aufhalten, an dem niemand auf sie wartet. „Ich bin nicht typisch“, meint der eine Zaungast. „Das ist mir unangenehm“, erklärt die andere. Ein Pensionär mit Vollbart sagt das, was wohl die meisten von ihnen denken: „Es ist total wichtig, dass Menschen wie wir hier sind.“ Näher erläutern möchte er das jedoch nicht – und schon gar nicht seinen Namen in der Zeitung lesen: „Ich will nicht, dass meine ehemaligen Arbeitskollegen über mich lästern.“