Auf der Bühne gibt Moderator und Entertainer Michel Abdollahi den Spaßmacher. Leise Töne schlägt er bei Herzensangelegenheiten an: zum Beispiel der Integration von Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln.
(aus Hinz&Kunzt 234/August 2012)
Der Typ quasselt und zappelt und nimmt kein Blatt vor den Mund. Religion, Politik, Sex: Für Michel Abdollahi gibt es nichts, worüber man keinen Witz machen kann. Hamburger kennen Michel Abdollahi als Gastgeber von „Kampf der Künste“ – einem Format, das er gemeinsam mit Kumpel Jan-Oliver Lange erfunden hat. Kurzfilmmacher, Sänger oder Literaten wettstreiten um die Gunst des Publikums, das schließlich auch den Sieger per Applaus kürt. „Slam“ heißt das neudeutsch. Beliebteste Disziplin ist der Poetry Slam, bei dem Texte aller Art verlesen werden.
Im August veranstaltet „Kampf der Künste“ einen Benefiz-Slam zugunsten von Hinz&Kunzt (siehe Seite 45). Michel Abdollahi wird durch den Abend führen. Die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben. Sein eigenes findet Michel ziemlich spannend. „Mir passieren immer so abgefahrene Sachen. Weil ich auch den Finger überall reinstecke und rumbohre.“ Folgerichtig erklärt Michel sein eigenes Leben zum Konzept seiner Moderationen und erzählt genau davon: Wer der Michel ist, wie er wohnt, wen er trifft und was er so erlebt.
Von einer Drogenkontrolle im Iran zum Beispieloder wie er in einem südamerikanischen Regenwald einen verwunschenen Wasserfall fand. Manchmal ist es schier unglaublich, was der 31-Jährige auf der Bühne von sich gibt, dann aber auch wieder völlig banal. Bei Youtube gibt es ein Video, das Michel beim Autofahren zeigt. Da erzählt er davon, wie eine „dickliche Frau in Rot“ ihm an der Ampel mal aufs Auto gehauen hat: „Ich … der Gurt hat mich … der Gurt hat sie gerettet, sag ich mal. Ich kam nicht raus. Wär‘ ich sonst sofort hingegangen – und hätte was gesagt.“
Noch so ein Video: eine Aufnahme aus der Reihe „Denkmäler beleidigen“. Da turnt Michel mit einem Kumpel vor dem Bismarck-Denkmal in Hamburg rum. Michel resümiert im Film: „Das Merkwürdige ist, dass keiner weiß, was das hier soll. Hier ist nie ein Mensch. Nicht mal ein Kranz zu seinem Geburtstag, nüscht. Nur: Bisi guckt irgendwie aufs Meer.“ Das kann man lustig finden oder nicht, es ist auf jeden Fall 100 Prozent Michel.
Der gläubige Moslem hat schon live im Schauspielhaus das religiöse Fasten gebrochen. Bei heißem Tee und süßem Gebäck plauderte er über den Rama- dan. Das Publikum schaute staunend zu und fragte sich: Ist das echt? Es war echt. „Ich würde das niemals als Showelement missbrauchen“, sagt Michel. Eine Berufsbezeichnung für das, was er da so macht, gibt es hierzulande nicht. Er leiht sich also eine Bezeichnung aus Frankreich: „Der Conférencier“, erklärt Michel, „erzählt Gags, führt Interviews, sagt seine Meinung und hat noch eine Literaturkritik in petto. Er führt durch den Abend und macht noch ganz viel Eigenes: ob er nun singt, steppt oder ein Buch rezensiert.“
„Mir passieren immer so abgefahrene Sachen“
Singen oder steppen kann er nicht, also macht er Fastenbrechen. Privat ist Michel Abdollahi in Jeans und hemdsärmelig unterwegs. Auf der Bühne sieht man ihn nie ohne Anzug und Fliege. Beides steht ihm gut. Und auch wenn er nach der Show das schnieke Outfit ablegt: „Michel ist Michel ist Michel“, sagt ein Freund. „Der ist wirklich so.“ Er bleibt der, den er auf der Bühne gibt. Doch manchmal sind 100 Prozent Michel Abdollahi ihm selbst nicht genug. Dann packt er noch seine Alter Egos aus. Der bildende Künstler „Arte“ ist eins davon. Arte malt mit dem bei jedem Windows-PC mitgelieferten Programm Paint und interpretiert seine Bilder selbst live. Berühmtestes Werk: Hitler ist tot.
Michel muss selbst lachen, wenn er von Arte erzählt. Und dass der nicht besonders produktiv ist: „Ich hab halt in den letzten sieben Jahren nur sieben Bilder gemalt.“ Noch unproduktiver ist das zweite Alias, Mosche Feigenbaum. Der jüdische Schriftsteller hat bisher nichts auf die Reihe gekriegt. Sein Lebenslauf (geboren in Jerusalem, Humanist, aktiver Aktionist) kursiert im Internet und sorgt für Verwirrung über die Identität von Michel Abdollahi. Geboren wurde er 1981 in der iranischen Hauptstadt Teheran. Bewegte Zeiten waren das. 1979 hatte die Islamische Revolution ihren Höhepunkt erreicht, 1980 war zwischen dem Irak und dem Iran Krieg ausge- brochen. „Klar haben wir Kinder das auch mitbekommen“, sagt Michel.
Eine Auswahl seiner Erinnerungen: der große Baum vorm Haus. Frontmeldungen aus dem Radio. Eis essen. Papa, wie er sagt: „Guck mal, ein irakisches Flugzeug.“ Als wirklich bedrohlich habe ich das aber nie empfunden. „Dass das Krieg war, ist mir erst spät bewusst geworden, so mit 18 oder 19 Jahren. Da habe ich aber im Nachhinein auch kein Trauma mehr entwickelt.“ Da lebte er auch schon lange in Hamburg. Dorthin sind seine Eltern mit ihm übergesiedelt, als er fünf Jahre alt war. Michels Eltern hatten in der Hansestadt vor seiner Geburt schon einige Jahre gelebt und in Deutschland studiert: der Vater Medizin, die Mutter Architektur. „Meine Eltern sind froh, dass wir nicht als Flüchtlinge kommen mussten“, sagt Michel. So gab es kein Bangen, wie lange die Ausländerbehörde die Familie dulden würde, kein Betteln um eine Arbeitsgenehmigung: Der geregelte Umzug mit Ausreisegenehmigung aus dem Iran und Visum für Deutschland war der Familie wichtig. „Wir konnten und können jederzeit wieder in den Iran. Wir mussten nicht unsere Pässe verbrennen und so tun, als wüssten wir nicht, wo wir herkommen.“
Bis vor drei Jahren lebte Michel mit seiner Familie in Eidelstedt, wo er zur Schule ging und sein Abitur machte. Während seines Jurastudiums arbeitete er im Hamburger Rathaus, in der Senatskanzlei unter Bürgermeister Ole von Beust. „Das war seltsam, weil mein ganzer Freundeskreis eher nicht CDU wählt.“ Aber von Beust, das sei „ein guter Mann. Der weiß, was er will.“ Und letztlich kam raus: „Auch CDU-Politiker sind Menschen.“ Michel bereitete Staatsempfänge vor, schüttelte Bundespräsidenten die Hand und saß im CDU-Landesausschuss für Integration. Die Facharbeit hat ihn kompetent gemacht in diesem Feld, das er lieber ganz anders nennen würde: „Mir gefällt der Begriff ,Zusammenleben‘ besser, damit klar ist, dass das etwas Gemeinschaftliches ist.“
„Wer die Sprache nicht spricht, gehört nicht dazu“
Vergangenes Jahr moderierte er das Sommerfest des Bundespräsidenten auf Schloss Bellevue.Er ist stolz, dass die Organisatoren ihn als Menschen wahrgenommen haben, der das Motto des Festes präsentieren kann. Das Motto hieß: „Zusammenhalt fördern“. Der Schlüssel zum Zusammenleben, findet Michel, heißt Bildung: „Alle Leute, die ich kenne, die einen höheren Bildungsweg gegangen sind, interessiert es nicht, wo der andere herkommt. Die sprechen lieber davon, was sie können. Andere sagen: Ich komm von da und da und bin benachteiligt. Und die sprechen meistens erbärmlich deutsch.“ Michel glaubt: Wer die Sprache des Landes, in dem er lebt, nicht spricht, „der gehört nicht dazu“.
Ganz konkret engagiert Michel sich beim Verein Zweikampfverhalten, den er 2008 mitgegründet hat. Der Verein setzt sich „für Respekt, Toleranz und ein faires Miteinander in Sport und Alltag“ ein. Fußball- und Basketballmannschaften, Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund, nehmen an den Trainings teil, einer Kombination aus Sportpädagogik und sozialem Lernen. Michel macht als Rhetoriktrainer mit. „Das Wichtigste ist das Feedback, dass sie ein Lob bekommen. In der Schule heißt es nämlich immer nur: Ruhe. Das kannst du nicht. Schlecht. Doof.“ Die Botschaft ist klar: „Trau dich was. Du kannst was.“ Es scheint zu wirken: „Ein paar von denen, die bei uns waren, wollten eigentlich gar nicht zur Schule gehen. Die machen jetzt Abitur. Andere studieren.“
Gerade die Türken, Iraner und Araber unter ihnen, findet Michel, müssen beruflich etwas erreichen. Nicht nur weil das ein persönlicher Erfolg wäre, sondern weil es die Gesellschaft und das Zusammenleben der Kulturen verändern würde: „Es ist etwas anderes, ob ein türkischer Polizist einen Türken anhält oder ein deutscher. Oder in der Behörde. Da heißt es: Da sitzt so eine grantige Deutsche, die genehmigt unseren Bauantrag nicht, nur weil wir Ausländer sind. Sitzt da eine Iranerin, gilt die Ausrede nicht.“
So unterschiedlich die Facetten von Michel Abdollahi sind, es gibt etwas, das passt zu jeder. Und das hat Michel zu seinem Markenzeichen gemacht. „Für dieLeute, die beim Poetry Slam unbedingt Gedichte erwarten, habe ich das mal als Gag gemacht: am Ende ein Gedicht vorgetragen.“ Der persische Dichter Saadi hat es im 13. Jahr- hundert geschrieben, und in Michels Heimat kennt es jedes Kind. „Das ist im Iran so was wie der Erlkönig hier“, sagt er. Er hat gemerkt: „Das ist immer ein schöner Abschluss.“
Und das Gedicht geht so: „Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht /als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht. / Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder, /dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider. / Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt, / verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.“
Text: Beatrice Blank
Fotos: Cornelius M. Braun