Zu Besuch bei den Brandschützern am Flughafen Fuhlsbüttel
(aus Hinz&Kunzt 134/April 2004)
Flughafen Fuhlsbüttel. Vor dem blauen Urlauber-Terminal herrscht hektische Betriebsamkeit. Überall wird gebaut, gelbe Kräne recken sich gen Himmel. Vorne links ragt waschbetongrau ein Rohbau aus dem Erdreich. Airport-Busse, Taxis, Flughafenfahrzeuge und Privatwagen knattern nonstop vorüber.
Ruhiger wird es gleich hinter der nächsten Gebäudeecke. Eine kleine Straße führt direkt zur Nordtorwache. Ade Terminal-Hektik, willkommen Rollfeld-Stille. Das weiße Glashäuschen ist die letzte Kontrollinstanz vor dem Sicherheitsbereich: offizielle Genehmigung des Airport Hamburg, Personalausweis, im Auftrag von, Termin bei.
Um zur Flughafenfeuerwehr Hamburg zu kommen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stellt die Nordtorwache einen Tagesausweis aus, dann düst der leuchtend orange Feuerwehrjeep mit dem Besucher längs der Landebahn, vorbei an den Zapfsäulen der Flughafentankstelle zur Wehr. Oder man ist nicht älter als 30 Jahre, hat eine abgeschlossene Berufsausbildung, den Führerschein der Klasse 2, mindestens Hauptschulabschluss und ist körperlich fit. Aus brandschutztechnischen Gründen gehört dazu auch der Verzicht auf Vollbärte. Tino Nehrings Gesichtshaut ist weich wie ein Babypopo. Vom Stuhl erhebt er sich schnell und ohne Schwindel, sein zackiger Schritt verrät einen starken Kreislauf: diensttauglich.
Nehring hat nicht nur eine, sondern gleich drei Berufsausbildungen: Flugzeugmechaniker, Maschinenbauingenieur und Berufsfeuerwehrmann im Führungsdienst. Sein Vokabular ist präzise und streng. „Wir haben dringenden Gesprächsbedarf“, sagt er zu einem älteren Feuerwehrmann im Vorbeigehen.
Nehring ist „Leiter Werkfeuerwehr“ oder, wie er stolz angibt: „Chief Officer Fire Department“. So steht es auch auf der Visitenkarte. Die 76 Mitarbeiter sind allesamt in der Wache „rangezüchtet“. Nur der Chef selbst ist eine Ausnahme. Der Leiter muss Ingenieur sein, und weil es in der Wache keinen gab, wurde die Führungsposition von außerhalb besetzt: mit Tino Nehring.
Nehring ist ein Meister der Zahlen und Fakten, der Regeln und Dienstvorschriften – beflissen, sie anderen mitzuteilen. Die Feuerwehrsprache ist ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass er gar nicht merkt, wie sie Laien verschreckt. Manchmal beugt er sich herüber und kontrolliert, ob korrekt mitgeschrieben wird. Oder er spricht extra langsam, so wie eine Grundschullehrerin beim Diktat. Der 38-Jährige ist Perfektionist. „Ich habe aus Idealismus mit dem Job hier angefangen“, sagt er, und nicht weniger erwartet er auch von seinen Mitarbeitern. Obwohl draußen vor dem Fenster gerade eine dicke Boeing vorbeidonnert, ist es in Nehrings Büro still wie in einer Kirche: „Lärmschutzglas der höchsten Kategorie“.
Auf den leeren Fluren und im Treppenhaus riecht es nach Jugendherberge und frisch gefeudeltem Finanzamt. Alle Bürotüren sind verschlossen. Ein junger Kollege demonstriert das Treppen ersparende Stangenrutschen, bevor er in die Mittagspause verschwindet. Die Ruhe ist fast aufreizend. Steil führt eine enge Eisentreppe hinauf zum „Herzstück“ der Wache, ins Reich von Einsatzleitstellendisponent Ronald Bloch.
Begeistert erklärt der schmale Mann Bildschirme und Knöpfe. Der beige, schwere Telefonhörer sieht aus wie Omas Wählscheiben-Fernsprecher und ist doch modernste Kommunikationstechnik: Blochs direkter Draht zum Tower. Hinter Glas in einem roten Plastikquadrat steht links auf dem Pult: „Scheibe einschlagen“. Darüber ein roter Notknopf. „Denn auch bei der Feuerwehr kann es brennen“, lacht Bloch.
So wie an jenem Tag 1987, als der Alarm des Towers die Wache erschüttert. 18 dienstbereite Feuerwehrleute sprinten zu den Metallstangen, rutschen vom zweiten in den ersten Stock, steigen um zur nächsten Stange, gleiten hinunter zu den Wagen. Die riesigen Panther-Löschfahrzeuge donnern aufs Rollfeld, in weniger als zweieinhalb Minuten sind sie in jedem Winkel des Flughafens einsatzbereit. Dann funkt der Tower, was genau passiert ist: „Es brennt, und zwar bei euch in der Feuerwehr!“ Die Männer waren erst vor kurzem in die neue Wache eingezogen und hatten ihr eigenes Kürzel nicht erkannt. Die Panther machten kehrt und rasten zurück. Glücklicherweise war es nur ein Fehlalarm, ein technischer Defekt.
Als Einsatzleitstellendisponent weiß Bloch eine Menge guter Geschichten zu erzählen. Von hier oben bekommt er ja auch alles prima mit, durch seine große Panoramascheibe. Vorne sieht er entlang der Startbahn bis zum Volkspark, rechts über die andere Startbahn bis nach Norderstedt und links über die Terminals, den Tower und die Werften. Vor kurzem musste er sich mit einem seltsamen Piepton bei Terminal 4 befassen. Handelte es sich um einen Notfall? Normalerweise liegen doch Signaltöne im Zuständigkeitsbereich der Flughafenfeuerwehr. Bloch ging dem mysteriösen Ton auf den Grund und fand die Erklärung: Das Piepen dient zur Taubenabwehr.
Wenn die Kollegen nicht gerade nach Signaltönen fahnden, leisten sie Routinearbeit: Feuerlöscher und Brandmelder warten, Ortskundelehre, Sanitäterausbildung, Brandschutzübungen. Gearbeitet wird in der Regel im 24-Stunden-Dienst: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Ruhe, also Schlaf, acht Stunden Bereitschaft. Peter Gerlitz hat gerade Bereitschaft. Allein sitzt er auf dem blau-bunten Sofa im riesigen Wohnzimmer und schaut fern. Eine Gerichtsshow. Als Nehring zu ihm geht, schaltet Gerlitz den Ton aus. Jetzt ist das große Zimmer nicht nur leer, sondern auch still. Hunderte Wappen, Wimpel und Zinnteller von befreundeten Wachen hängen an den Wänden. Rechts neben der Tür sind Feuerwehrhelme aufgereiht, auf langen Borden stehen dutzende Bierkrüge – ebenfalls Gastgeschenke.
Das schönste Geschenk hat sich die Wehr allerdings selber gemacht: vier „Rosenbaum Panther 8 x 8“. Nehring funkt einen seiner Männer aus der Mittagspause: Er soll das 20-Meter-Gefährt aus der Garage holen, Nehring macht den Rangierhelfer. Dienstvorschrift. Tief brummt der Koloss beim Rückwärtsfahren. Beim Panther gibt es keine Drehleitern oder Bimmelglocken, niemand rollt schwere Schläuche aus. Zum Wasserschießen schmeißt Nehring einfach die beiden Hochdruckspritzen an.
Auf der Wache gibt es allerdings noch immer die guten alten Rutschstangen. Die Frage von TV-Komiker Stephan Raab nach „Rutscher oder Lutscher?“, also „Mutiger Mann mit Löwenherz oder feiger Angsthase?“, stellt sich hier erst gar nicht: Feuerwehrmänner sind Rutscher. Das sehen schon die Dienstvorschriften vor: maximal drei Minuten Notfallreaktionszeit. Da sind Treppen einfach nicht drin.