Dieter Pfaff rettet als TV-Anwalt einen Hinz & Künztler vor dem Knast
(aus Hinz&Kunzt 134/April 2004)
Knips. Knips. Mit einer Zange und zwei Handgriffen löst der freundliche junge Mann das Zone-30-Schild vom Laternenpfahl. Nichts ist echt hier. Nicht mal die Verkehrsberuhigung. Gedreht wird auf St. Pauli, spielen soll die ARD-Serie „Der Dicke“ in Altona. In den Hauptrollen von Folge acht: Dieter Pfaff als Anwalt Ehrenberg, Hartmut Schories und Charly Hübner als zwei Hinz & Kunzt-Verkäufer.
Beim türkischen Gemüsehändler gibt es nur Plastikobst. Und der Hinz & Künztler, der frierend auf dem Bürgersteig steht, sieht zwar aus wie einer, verkauft aber keine Zeitungen. Der Schauspieler Hartmut Schories überzeugt. Die Verkäuferweste mit dem Hinz & Kunzt-Ausweis und die Umhängetasche mit den Zeitungen trägt er lässig und ganz selbstverständlich. „Ich spiele nicht nur einen Obdachlosen, sondern eine bestimmte Figur, ein Individuum, kein Schema oder Muster“, sagt der Schauspieler, der seit mehr als 30 Jahren im Geschäft ist.
Schories, Ensemblemitglied beim Thalia Theater, ist in dieser Folge ein Hinz & Künztler. Die Serie mit dem Arbeitstitel „Der Dicke“ wird im Hauptabendprogramm laufen. Der beleibte und beliebte Dieter Pfaff ist Gregor Ehrenberg, ein Rechtsanwalt, der einen Neuanfang wagt, in einer alten Weinhandlung eine Kanzlei eröffnet und sich für die „kleinen Leute“ einsetzt. Schories ist im Film der Hinz & Künztler Kalle, der seinem jüngeren Kollegen und Freund Harry hilft. Harry ist untergetaucht, weil er nicht ins Gefängnis will. Im Suff hat er die Scheiben eines Geschäfts eingeworfen, dessen Besitzer ihn immer wieder verscheucht und gegängelt hatte. „Irgendwann sagste, was für ein Arschloch und schmeißt einen Stein rein“, sagt Harry alias Charly Hübner.
Kalle holt Rechtsanwalt Ehrenberg. Der überzeugt Harry, dass er sich stellen muss. Auf dem Polizeirevier wird klar, dass es nicht nur um Sachbeschädigung, sondern um schweren Raub geht. Aus dem eingeworfenen Schaufens-ter ist wertvoller Schmuck gestohlen worden. Harry ist entsetzt, er hat nichts geklaut. Ehrenberg glaubt ihm. Ins Gefängnis kommt Harry trotzdem erst mal.
„Ich habe mir vorgestellt, wie das ist, wenn du obdachlos bist. Wo ist der Punkt, an dem es passiert? Wie fällst du durch das soziale Raster?“, sprudelt es aus dem großen, kräftigen Mann. Charly Hübner hat sofort zugesagt, als das Rollenangebot kam. „Da wirste dafür bezahlt, dass du dich damit auseinander setzt.“ Das Raster stelle er sich vor wie die Gittergänge im Gefängnis, durch die man durchblicken kann: „Irgendwo ist ein Loch, da fällst du rein – und wieder hochzukommen, das ist schwer, da musste klettern können, da musste Ideen haben, rhetorisch gut drauf sein.“
Er selbst habe einmal von Sozialhilfe leben müssen, war aber noch nie obdachlos, erzählt Hübner. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, hat er Freunde und Bekannte befragt, wie Obdachlose auf sie wirken. Am Anfang hätten alle gesagt: „Ja, die tun mir Leid.“ Aber „beim Nachpieken“ hätten sie zugegeben: „Das ist unangenehm, die sind manchmal dreckig, die riechst du gleich, die gucken so leidend. Das will man nicht, man hat seinen eigenen Stress.“ Hübner glaubt, dass es diese Schwelle gebe, „weil die Leute sich angegriffen fühlen, weil sie selbst darum kämpfen, sozial sicher zu bleiben“.
Seine Figur Harry macht Fehler, aber ist ein ehrlicher Typ, der letzlich Glück im Unglück hat: Er hat Kalle als Freund und Ehrenberg als Rechtsanwalt. Ehrenberg und seine Helfer finden heraus, dass der vermeintliche Raub ein Versicherungsbetrug ist, können es aber nicht beweisen. Das kann nur die Polizei. Derweil flieht Harry aus im Knast. Er geht zu Ehrenberg, der prompt Besuch vom Kommissar bekommt. Harry stellt sich ein zweites Mal der Polizei, mit Ehrenberg an seiner Seite.
Gregor Ehrenberg ist Dieter Pfaff. Dieter Pfaff ist Gregor Ehrenberg. Sein Kostüm, ein blauer Arbeitsoverall, spannt sich über den dicken Bauch. Die Farbe, das Blau, passt perfekt zu seinen Augen. Pfaff ist im Stress und hat dennoch ein freundliches Wort für jeden. Er zündet sich eine Zigarette an und inhaliert erst mal tief. An der Idee zur Figur des Rechtsanwalts habe er mitgearbeitet, wie auch bei „Kommissar Sperling“ und „Psychotherapeut Bloch“. Rechtsanwalt Ehrenberg ist einer, der in seinem Alter (über 50) noch einmal neu anfängt, einer, der seine Ideale verraten sieht und selbst eine Lebenskrise hat. Nicht nur Ehrenberg, auch Dieter Pfaff weiß, was es heißt, vermeintlich am Ende zu sein. „Ich bin zwei Jahre in einer Situation gewesen, in der ich nicht wusste, ob ich das überlebe oder nicht, in der mein Beruf zu Ende war, in der man das Telefon klingeln hört in der Hoffnung, dass einer einen will“, sagt der Schauspieler. Das Telefon hat aber nicht geklingelt. „Ich habe gedacht, schlimmer kann es nicht mehr werden, aber es wurde immer schlimmer.“ Überstanden hat er es durch eine Entscheidung: „Ich habe mir gesagt: Ich bin derjenige, der mit der Situation nicht fertig wird. Also habe ich aufgehört, anderen die Schuld an meiner Situation zu geben.“ Und er habe Glück gehabt, fügt er hinzu: „Ich bin mit meiner Frau jetzt 38 Jahre zusammen. Da war immer auch eine Stabilität.“
Auch in Folge acht wenden sich die Dinge dank Fernsehdramaturgie zum Guten: Die Polizei überführt den Ladenbesitzer infolge der Vorarbeit durch Ehrenberg und seine Helfer. Harry ist entlastet. Mit Kalle schaut er beim Rechtsanwalt vorbei, um sich zu bedanken.
Charly Hübner sagt: „Ehrenberg erinnert mich an Robin Hood, der den Reichen nimmt und den Armen hilft. Ich kenne keinen solchen Anwalt.“ Nachdenklich fügt er hinzu: „Fernsehen ist ja auch immer moralische Anstalt.“ Aber eben nicht nur – wie sich gleich zeigt. „Ruhe bitte!“, ruft die Aufnahmeleitung. „Wir wollen drehen.“