Aus Freude am Grotesken

Die Hamburger Sammlung Falckenberg ist eine der ungewöhnlichsten Ausstellungen Deutschlands – mit zum Teil verstörenden Exponaten.

(aus Hinz&Kunzt 232/Juni 2012)

Kaufmann trifft Kunst: Das Herz des Hamburger Juristen Dr. Harald Falckenberg schlägt für die Moderne. 2000 Werke hat der Sammler mittlerweile zusammengetragen.

Bei Harald Falckenberg einen Termin zu bekommen ist gar nicht so leicht. Nicht etwa, weil der Mann sich zu wichtig nähme. Ganz im Gegenteil. „Ich möchte nicht im Mittelpunkt stehen“, sagt er am Telefon. Ein paar Tage später steht er doch vor uns. Ein verschmitzt lächelnder, ­unprätentiöser Herr im schlichten Anzug. Geschäftsführer ­eines mittelständischen Unternehmens, bald im Ruhestand und hanseatischer Kaufmann durch und durch. Und Herr über eine Menge Kunst. 2000 Werke hat Falckenberg innerhalb weniger Jahre zusammengetragen. Seit 2008 stellt er sie in den Harburger Phoenix-Hallen aus. Der rußige Backsteinbau beherbergt eine der größten und ungewöhnlichsten Sammlungen Deutschlands. „Man kann es wohl eine Sucht nennen“, sagt er selbst über seine Sammelleidenschaft.

1994 hat der 67-jährige Jurist angefangen, Kunst zu ­kaufen – nicht mit ererbtem, sondern mit selbst verdientem Geld, wie er betont. Er beginnt mit bekannten Namen wie Andy Warhol und Gerhard Richter, wendet sich aber auf ­Anraten seines Freundes, des Künstlers Werner Büttner, der jüngeren Kunst zu – wie John Baldessari, Martin Kippen­berger oder Jonathan Meese. „Ich sammle Kunst, die sich der Ironie, der Satire, der Groteske verschrieben hat“, so der Sammler. „Mich interessieren die Nachrichten, die sie über die Gesellschaft vermitteln.“

Erzählen können die Bilder und Installationenin den gletscherweißen Räumen einiges. Hier ist nichts gefällig, ­dekorativ oder zart. Das „Bernsteinzimmer“ zum Beispiel hat mit dem seit 1945 verschwunden Prachtraum aus St. Petersburg nur den Namen gemeinsam. Thomas Hirschhorns raumgroße Installation ist das Gegenteil von repräsentativ: Der Künstler hat die Geschichte und die Vorstellung von ­Beutekunst eigenwillig interpretiert und alle Gegenstände im Raum zum Teil bis zur Unkenntlichkeit mit grauer Folie ­verklebt. Nur wenig entfernt steht eine ähnlich provokante Installation: die Guantanamo-Zelle von Gregor Schneider. Der Künstler hat sich von Fotos inspirieren lassen und die Zelle aus dem US-Gefängnis auf Kuba mit grüner Kunstlederpritsche und Edelstahl-Klo beklemmend realistisch nachgebaut.

Fesselnd und bedrohlich zugleich sind auch das bizarre ­Jonathan-Meese-Zimmerund Jon Kesslers „the palace at ­4 am“ – ein ganzer Raum voller flimmernder Monitore, ­Kameras und puckernder Lautsprecher, in dem der 11. ­September 2001 in einer Art medialem Perpetuum mobile grotesk verarbeitet wird. Aber nicht alle Werke sind ernst, manche bringen einen auch einfach durch Wortspiele oder optische Spielereien zum Lachen. Nur ein Bruchteil der Exponate ist in den Phoenix-Hallen, die seit 2011 von den Deichtorhallen kuratiert werden, überhaupt an den Wänden zu sehen, ein großer Teil lagert in einer anderen Halle, ein weiterer ist ­im sogenannten Schiebelager im Untergeschoss untergebracht. Wie in einem riesigen Kleiderschrank hängen hier Dutzende von Bildern auf rollbaren Wänden und können zum Betrachten aus dem Schrank geschoben werden. Ein Vergnügen, das immer nur einer kleinen Gruppe gewährt wird, denn die Sammlung ist nur zu bestimmten Zeiten im Rahmen von Führungen geöffnet. Tägliche Besichtigungen wären wegen der Bewachung zu teuer.

Als Geldanlage hat Harald Falckenberg die Kunst nie ­gesehen. „Wenn ich spekulieren wollte, würde ich etwas anderes machen.“ Er möchte sie den Menschen zugänglich ­machen. „Die Künstler denken meist nur an sich. Als Leiter einer Kunsthalle ist man Produzent, der vorrangig an die ­Besucher denken muss.“ Dafür legt er sich manchmal auch mit Künstlern an. Erst kürzlich wollte der Regisseur und Fotograf Wim Wenders seine großformatigen Fotos anders platzieren als der Hausherr. „Es gab dicke Luft, doch am Ende fand man wunderbare Kompromisse. Alle waren glücklich.“ Der Kaufmann hat von der Kunst gelernt. „Durch sie kam ich aus meinem Trott heraus und habe Sehen gelernt. Ich sehe die Welt heute mit ganz anderen Augen und nehme die bizarrsten Formen wahr.“

Inzwischen hat sich Falckenberg auch als Theoretiker ­einen Namen gemacht, Bücher über Kunst geschrieben und zwei Verlage gegründet. Auf das Schreiben will er sich ganz konzentrieren, wenn er in den Ruhestand geht. Eigentlich hat er das Rentenalter schon erreicht, aber sein Arbeitgeber bat um eine Verlängerung. „Und ich kann so schlecht Nein sagen.“ Irgendwann wird auch die Phase des Sammelns und Ausstellens abgeschlossen sein, aber das dauert noch, denn Falckenbergs Vertrag mit der Stadt Hamburg läuft bis 2023. So lange stehen die mehr als 2000 Werke den Deichtorhallen als Dauerleihgabe zur Verfügung.

Ob er ein Lieblingsbild habe, wollen wir noch wissen. Hat er nicht. „Ich identifiziere mich nicht mit den Werken.“ Und er wolle auch, dass die Leute sich selbst eine Meinung bilden. „Außerdem gibt es Wichtigeres als die Kunst.“ War das jetzt ironisch? Falckenberg lächelt nur verschmitzt.

Text: Sybille Arendt
Foto: Cornelius M. Braun

Sammlung Falckenberg in den Phoenix Fabrikhallen, Wilstorfer Straße 71, Tor 2, 21073 Hamburg-Harburg. Der Besuch der Sammlung und der Sonderausstellung ist nur im Rahmen von geführten Rundgängen möglich, Mi und Do, 18 Uhr, Fr, 17 Uhr, Sa und So, 11 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr. Anmeldung unter besuch@sammlung-falckenberg.de , oder telefonisch unter 32 50 67 62. Eintritt: 15 /12 Euro