Wie Sina Trinkwalder Augsburgs Tradition als Textilstadt wiederbelebt und dabei Arbeitsplätze für Menschen schafft, die anderswo keine Chance bekommen.
(aus Hinz&Kunzt 232/Juni 2012)
Zwei Millionen Stofftaschen pro Jahr. Als Sina Trinkwalder erstmals von dieser Anfrage hört, denkt sie: „Spinnt ihr?“ Die 34-jährige Gründerin der Online-Bekleidungsmanufaktur „Manomama“ hat zu dieser Zeit ein Dutzend Angestellte und genug zu tun. Ihr Mann überschlägt: Wenn sie zusagt, braucht sie 40 neue Mitarbeiterinnen – und viel größere Räume. Dennoch zögert Sina Trinkwalder nicht lange: „Augsburg war früher Konfektionshochburg.“ Dann gingen Zehntausende Arbeitsplätze verloren, weil die Textilindustrie ihre Fabriken in Billiglohnländer wie Vietnam oder Bangladesch verlagerte. „Viele Jobs hier wurden aus Raffgier vernichtet. Ich will den Menschen die Arbeit wiedergeben.“
Zwei Jahre ist es her, dass die gebürtige Fränkin „Manomama“ auf die Beine gestellt hat. Seitdem fertigen in der Fugger-Stadt wie einst Frauen (und ein Mann) Kleider – gegen die Gesetze der globalisierten Welt. Und zwar nicht irgendwelche: Die Kunden können ihre Lieblingsstücke selbst entwerfen, die Stoffe kommen fast immer aus der näheren Umgebung und sind so bio, dass sie sogar kompostierbar sind. Und die Näherinnen arbeiten in Teams nach selbst gewähltem Tempo, denn: „Akkord ist eine ganz fiese Nummer.“
Wer die ungewöhnliche Frau verstehen will, muss ihre Geschichte kennen: 14 Jahre lang hat sie mit ihrem Mann eine Werbeagentur geleitet, hat viel Geld verdient und immer weniger Befriedigung verspürt. „Werbung ist oft völlig sinnfrei, weil Sie überfressenen Menschen Appetit machen soll“, sagt Sina Trinkwalder. Sie aber sehnte sich zunehmend nach „ehrlicher Arbeit“. Den letzten Anstoß gab ihr die Geburt ihres Sohnes. „Ich will mir nicht sagen lassen: ,Ihr habt in Saus und Braus gelebt‘“ – und für die nachfolgende Generation nichts übrig gelassen. 1,4 Millionen Euro hat Sina Trinkwalder mittlerweile in die Firma gesteckt, die sie ihr „Lebenswerk“ nennt. 2013 will sie schwarze Zahlen schreiben.
Eine unscheinbare Halle in der Augsburger Innenstadt. Das Tackern von Industrienähmaschinen füllt den Raum. Rund 40 Frauen arbeiten hier, jede genau so viel und genau so lange, wie sie kann und will. Für die meisten ist es der erste Job nach langen Jahren Arbeitslosigkeit. 1800 Menschen haben sich bei Sina Trinkwalder beworben, 167 Bewerbungsgespräche hat sie geführt. „Ich habe mir zwei Wochen Zeit genommen und mir jedes einzelne Schicksal angehört.“ Eine Chance hat sie vor allem denen gegeben, die anderswo durchfallen, Alleinerziehende etwa oder Ältere. Ob schnell oder langsam, gut ausgebildet oder nicht: Jede der „Ladys“, wie Sina Trinkwalder ihre Mitarbeiterinnen liebevoll nennt, verdient zehn Euro die Stunde (anderswo in Deutschland verdienen Näherinnen teils weniger als 7,50 Euro). „Ich habe gleich am Anfang gesagt: Wir sitzen alle in einem Boot.“
Barbara Hausmanninger ist gelernte Damenschneiderin. Die kräftige Frau mit den kurzen grauen Haaren hat so viele Arbeitsamt-Maßnahmen durchlaufen, dass sie sie nicht mehr zählen kann. Nun sitzt die geschiedene Mutter zweier erwachsener Kinder an einer der Maschinen und näht von morgens bis abends. „Ich habe nicht gedacht, dass ich noch so belastungsfähig bin. Aber es geht gut“, sagt die 52-Jährige. Heute jedoch ist sie sehr müde, „ich könnte sofort einschlafen“. Worauf Sina Trinkwalder meint: „Die Barbara ist hammermäßig. Die näht mit geschlossenen Augen!“
Im April waren die ersten 130.000 Taschen fertig, Auftraggeber ist die Drogeriemarktkette dm. „Ich würde es mit keinem anderen machen“, sagt Sina Trinkwalder über die Zusammenarbeit mit dem Vorzeige-Unternehmer Götz Werner. Dessen Sohn war kürzlich in Augsburg. Ob es eine Anschlussperspektive für den Mietvertrag der Halle gebe, der in fünf Jahren ausläuft? „Klar. Meine Ladys wollen ihre Rente irgendwann“, hat Sina Trinkwalder geantwortet. Zwei Euro kostet eine Stofftasche bei dm, verdienen wird weder Manomama noch die Drogeriemarktkette an ihnen. „Dafür steht drauf, wer sie macht und woher sie kommen.“
Man könne doch kein Unternehmen gründen, das auf Menschen fußt, sagte kürzlich ein Reporter. Sina Trinkwalder meint, dass sie das kann, und erzählt von einem Problem, das sie an diesem Tag auf ihre Weise gelöst hat. Mitarbeiterin Olga kam nicht zurecht mit dem Gerät, das Bänder schneiden soll für die Taschen. Also hat die Chefin ihr eine Schere in die Hand gedrückt, „und nun ist sie glücklich“. Andere hätten die Frau vor die Tür gesetzt. Sina Trinkwalder sagt: „Nun brauche ich nur noch Olga.“ Was ist das für eine Unternehmerin, die eine Maschine nutzlos rumstehen lässt? „Ich nenne es ein kleines gallisches Dorf“, sagt Sina Trinkwalder. „Und wenn ich schöne Laune habe, dann bin ich die Gutemine.“ •
Text: Ulrich Jonas
Foto: Hans-Rudolf Schulz
Mehr Infos im Internet unter www.manomama.de