Chef für eine halbe Stunde

Was ich bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erlebte

(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)

Vorstellungsgespräch, Assessment-Center, Eignungstest: So wählen Unternehmen ihre Auszubildenden aus. Doch auch die Bewerber merken, was der künftige Arbeitgeber bietet und ob „die Chemie“ stimmt. Ein Erfahrungsbericht von Stefan Ahrens.

Der Bauer-Verlag hat fünf Männer und fünf Frauen zum Assessment Center geladen. Ich bin dabei. Jeder bekommt ein Produkt aus dem Verlag zugewiesen, ich werde für eine halbe Stunde „Chefredakteur“ der „Neuen Revue“. Jetzt sollen wir eine Gruppendiskussion führen. Das Szenario: Ein Zeppelin soll Werbung machen für eine der Zeitschriften. Aber für welche? Unsere Aufgabe ist, die Interessen des eigenen Blattes zu vertreten, zugleich sollen wir darauf achten, dass eine vernünftige Lösung für das Unternehmen als Ganzes herauskommt.

Ich möchte entweder Diplom-Kaufmann werden oder Betriebswirt nach dem Hamburger Modell. 17 Bewerbungen habe ich geschrieben. Von Siemens, ExxonMobil und Axel Springer kam gleich ein großer Umschlag zurück. Bei anderen, zum Beispiel bei Bauer, hatte ich mehr Glück.

Der „Chef“ von „Auto Motor Sport“ schlägt vor, den Zeppelin am Sonnabend über ein Fußballstadion fliegen zu lassen. Dort erreiche die Werbung viele Menschen, im Stadion sitze die richtige Kundschaft für eine Autozeitschrift. Der Kollege von „TV Movie“ argumentiert, seine Zeitschrift habe die höchste Auflage, die müsse man festigen.

Ich denke die ganze Zeit: Wie soll ich bloß meine Zeitschrift nach vorne bringen? Auf dem Titelbild sehe ich Berti Vogts mit seiner Frau, es geht um Klatsch und Tratsch, um Adelige und Promis. Das ist nicht meine Welt. In 30 Minuten bringe ich kaum ein Wort über die Lippen. Kurz vor Schluss der Diskussion verweise ich auf das tolle Preisrätsel in „meiner“ Zeitschrift und die Geschichten, die ein breites Publikum ansprechen – nicht nur Autofahrer. Die Chance, neue Leser zu gewinnen, sei bei der „Neuen Revue“ am größten. Doch das Rennen macht die Vertreterin von „TV 14“, ihr Blatt sei Fernsehprogramm- und Unterhaltungszeitschrift zugleich. Wegen der breiten Zielgruppe sei die Werbung am effektivsten.

Meine Argumentation hat die anderen nicht überzeugt. Aber wie soll das auch gehen, wenn ich selbst nicht überzeugt bin? So ließ die Absage nicht lange auf sich warten. Ein Wunder, dass ich es überhaupt so weit geschafft hatte. Nur Bewerber mit sehr gutem Abitur sollten sich bewerben – mein Notendurchschnitt ist 2,4.

Bei der internationalen Fachspedition Hoyer, einem Familien- unternehmen mit Sitz in Hamburg-Hamm, bin ich zum Eignungstest eingeladen. Da spielt es keine Rolle, wie man angezogen ist, dachte ich; zumindest war es bei RWE Dea so. Also trug ich nicht meinen Anzug, sondern Alltagskleidung: einen schlichten weißen Pullover, Jeans und Winterboots. Als wir in den Raum gebeten werden, in dem wir die nächsten vier Stunden verbringen sollen, lese ich mit Entsetzen die Agenda: Sie gleicht einem Assessment Center – und ich bin ohne Anzug!

Zuerst soll sich jeder vor der Gruppe präsentieren. Es folgen Tests in Englisch, Logik, Mathematik und Allgemeinwissen und eine Gruppendiskussion über die Anhebung des Rentenalters. Das war eine Woche zuvor Thema bei Sabine Christiansen im Fernsehen, deshalb bin ich gut informiert. Schließlich bekommt jeder vier Textschnipsel mit Informationen über Phantasiebegriffe, die sollen wir gemeinsam in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Es geht darum, wie viele Quarks ein Quork ergeben und aus wie vielen Tongas ein Quatro besteht. Wer soll das begreifen? Ich jedenfalls nicht!

Nachdem die Absage da ist, erfahre ich von einem Kollegen aus meiner Fußballmannschaft, dass bei Hoyer die Kleidung eine hohe Priorität habe. Vielleicht war das der Grund? Zumindest war die Atmosphäre zwischen den Teilnehmern locker. Zum ersten Mal spürte ich keinen Konkurrenzkampf, wie er bei anderen Auswahlrunden in der Luft lag. Allen war klar: Wir sitzen im selben Boot.

Am besten hat es mir bei Colgate Palmolive in Hamburg-Billwerder gefallen. Die Empfangshalle mit den hohen weißen Wänden sah karg aus, aber die Arbeitsräume waren schön eingerichtet. Und am allerwichtigsten: Die Mitarbeiter, die bei den Übungen dabei waren, erwiesen sich als sehr freundliche, offene Menschen in bester Laune. Eine verrückte Gruppenaufgabe stand uns zwölf Teilnehmern bevor. Wir sollten eine Egg-Maschine entwickeln, ein Gerät, mit dessen Hilfe ein Ei aus einem Meter Höhe unbeschadet auf dem Boden aufkommt. Dafür hatten wir acht Materialien und Werkzeuge zur Verfügung: Watte, Pappe, Packpapier, Schere, Büroklammern, Klebestift, Tacker und Klebeband. Für sechs mussten wir uns vorher entscheiden, also ließen wir den Tacker und die Büroklammern weg. Wir hatten bei der Konstruktion viel Spaß: erst ein Rohr, durch das das Ei senkrecht nach unten fiel, dann ein Polster aus Watte und eine leicht geneigte Bahn, auf der unser Ei heil den Boden erreichte. Beim Intelligenztest, erfuhr ich später, hatte ich am besten abgeschnitten, aber für einen der beiden Ausbildungsplätze hat es zum Schluss doch nicht gereicht. Die Begründung: Ich sei nicht genügend aus mir herausgekommen und in der Gruppendiskussion nicht kreativ genug gewesen. Immerhin, ich hatte es unter die letzten zwölf geschafft. Ich war stolz auf mich.

Waren nun alle Bemühungen umsonst? Nein, ich habe viele Erfahrungen gesammelt und habe mich entschieden zu studieren. Danach beginnt die Suche erneut. Was ich jetzt in den Auswahlrunden erlebt habe, wird mir dabei bestimmt helfen.

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