Bei Redaktionsschluss gingen wir davon aus, dass Andy Grote (SPD) Bezirksamtsleiter wird. Ein Gespräch über den Umgang mit Obdachlosen, den Hauptbahnhof und das Betteln.
(aus Hinz&Kunzt 231/Mai 2012)
Nein, einen Zaun an der Kersten-Miles-Brücke hätte der neue Bezirksamtsleiter für Mitte nicht aufgestellt, um Obdachlose zu vertreiben. Als „unglücklich“ bezeichnete Andy Grote die ganze Angelegenheit im Gespräch mit Hinz&Kunzt. Eine derartige Aktion setze auch „die falschen Signale im Umgang mit Obdachlosen“. Man sollte auch nicht versuchen, „Obdachlose und Arme weniger sichtbar zu machen oder an den Rand zu drängen“. Er ist eben nicht so impulsiv wie sein Vorgänger Markus Schreiber. Andererseits wird es keine Abkehr von dessen Linie geben. Beide kommen aus der mächtigen und eher konservativen SPD-Mitte um Johannes Kahrs.
Grote macht keinen Hehl daraus, dass er kein Freund davon ist, „dass man überall unter Brücken gemütliche Ecken einrichtet“ – und auch über den Hauptbahnhof „werden wir reden müssen“. Womöglich soll die Bahn Hausrecht ausüben dürfen, womöglich soll ein Trinkerraum eingerichtet werden. „Ich hoffe natürlich, dass ein Trinkerraum eine solche Akzeptanz findet, dass die Menschen da nicht hingezwungen werden müssen“, sagt Andy Grote. Auf die Frage, ob das mit Platzverweisen verbunden sein kann, schiebt er nach: „Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass es ausschließlich auf freundschaftlicher Basis laufen wird.“
Was das Leben unter Hamburgs Brücken angeht, sieht er dagegen ein, dass der Wohnungsmarkt derzeit nichts bietet für Menschen mit wenig Geld. „Wir müssen deshalb gezielt Wohnungsangebote schaffen, die nicht nur darin bestehen, bei der Saga oder woanders Kontingente zu belegen. Wir müssen Häuser und Wohngemeinschaften bereitstellen, beispielsweise für Menschen mit Behinderungen, für Haftentlassene – und zu allererst für Menschen, die auf der Straße leben.“
Was er auch fördern möchte: dass soziale Projekte Wohnungen anmieten können, in denen dann Drogenabhängige, Haftentlassene oder Obdachlose wohnen und von Sozialarbeitern begleitet werden. Dann hätten Vermieter auch einen professionellen Ansprechpartner. Das wiederum würde Vertrauen schaffen, und dann würden vielleicht mehr Vermieter ihre Wohnungen zur Verfügung stellen. Grote hat dieses Verfahren bei Subway kennengelernt, einer Drogenhilfeeinrichtung in der Neustadt. Sein Kiez ist eigentlich St. Pauli, hier wohnt er auch. „Hamburg für alle!“ – dieser eher linke Wahlspruch ist sein Motto. Für ihn folgerichtig, ist er deshalb auch Mitglied im FC St. Pauli und im honorigen Überseeclub.
Außerdem ist er Vorsitzender des SPD-Distriktes St. Pauli-Süd. Aber, so sagt er, politisch kenne er die meisten anderen Stadtteile seines Bezirkes auch. Schließlich war er jahrelang Abgeordneter in der Bezirksversammlung Mitte, dann auch Fraktionsvorsitzender. Jetzt ist er Fachsprecher im Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft.
Auf St. Pauli engagiert er sich für die Bewohner der Esso-Häuser, aber auch für den Abriss der alten Häuser und einen Neubau. „Ich versuche, zentrale Qualitäten des Stadtteils zu erhalten: soziale Milieus und Kleingewerbe“, sagt Grote. „Das ist erst mal nicht die Vorstellung eines Immobilieninvestors, wenn er ein Grundstück kauft.“ Klar müsse ein Bauprojekt „für einen Investor wirtschaftlich einen Sinn ergeben, aber er muss auch wissen, in welchem Stadtteil er sich bewegt und was die Anforderungen sind.“ Und da hat der Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Baurecht und Sozialrecht klare Vorstellungen: „Das bedeutet, dass wir dort bezahlbaren Wohnraum und Sozialwohnungen für 5,80 Euro den Quadratmeter am liebsten für 30 Jahre gesichert in möglichst großer Zahl durchsetzen.“
Im Bezirk Nord ist gerade der Fall aufgetreten, dass die OneVest und ihre Geschäftsführer Andreas Wankum und Michael Westenberger (beide CDU) versprochen hatten, 115 Sozialwohnungen zu bauen – und jetzt sollen sie doch als Eigentumswohnungen verkauft werden (Seite 26). Könnte das einem Bezirkschef Grote auch passieren? „Wir in Mitte sichern solche Verabredungen schon lange durch städtebauliche Verträge oder einseitig verpflichtende Erklärungen der Bauherren ab“, sagt der SPD-Politiker. „Politik verliert ja auch die Glaubwürdigkeit, wenn so etwas passiert.“ Einen ähnlichen Fall habe es seines Wissens in Mitte auch noch nicht gegeben. Im Bezirk Mitte dürfte Wankum jetzt schlechte Karten haben. „Dieser Bauherr will ja auch auf St. Pauli was bauen“, sagt Andy Grote, „da sind wir jetzt entsprechend vorbereitet.“
Was uns als Hinz&Kunzt natürlich besonders interessiert: Wird es mit Andy Grote ein Bettelverbot in der City geben? „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Dann schränkt er ein – ganz auf der Linie seines Vorgängers: „Wir sind ja mal gegen gewerbsmäßig organisierte Bettelei vorgegangen, das halte ich nach wie vor für richtig. Das Zur-Schau-Stellen von verkrüppelten Menschen gewerbsmäßig dazu auszunutzen, um damit Geld zu verdienen“, gehe gar nicht. (Wir haben uns damals übrigens gegen das Bettelverbot engagiert, weil wir Menschen gesprochen haben, die zwar organisiert waren, aber freiwillig gebettelt haben. H&K 159)
Einzelne Menschen hingegen, die für sich betteln – „so wie es das schon immer gegeben hat“ –, haben von Andy Grote nichts zu befürchten. „Diese Art von Betteln gehört zum Leben in der Großstadt“, sagt er. „Wer zum Einkaufen in die Stadt kommt, muss sich vor Augen führen, dass Armut auch eine Seite unserer Gesellschaft ist.“
Text: Birgit Müller
Foto: Daniel Cramer