Auf einem Abstellplatz warten osteuropäische Kraftfahrer auf die Reparatur ihrer maroden Fahrzeuge
(aus Hinz&Kunzt 132/Februar 2004)
Sie sind lebensgefährlich für ihre Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer: schrottreife Lastwagen osteuropäischer Speditionen. Für viele ist im Freihafen Endstation, seit die Wasserschutzpolizei verstärkt kontrolliert. Leidtragende sind die Fahrer, die manchmal monatelang in Hamburg bleiben müssen, bis die Speditionen Geld für die Reparatur überweisen.
Die rechte Hand, schwarz von Öl, greift zum Küchenmesser. „Klar, das Auto ist nicht ganz in Ordnung“, sagt Sergej und fischt mit dem Messer Schmierfett aus einer Büchse, „aber es fahren 1000 deutsche Autos rum, bei denen es genauso ist.“ Der 33-Jährige kauert unter seinem Lastwagen und verteilt das Fett an der Hinterachse. Seit drei Tagen schraubt er an seinem Fahrzeug. Morgens um neun Uhr kriecht er unter den Wagen. Dort arbeitet er bis halb elf abends und schläft dann auf der Pritsche im Führerhaus. In spätestens vier Tagen will er wieder weg sein aus Hamburg. Bis dahin hat er eine lange Mängelliste abzuarbeiten.
„Ein Reifen war nicht in Ordnung“, sagt er. Und etwas mit der Bremse. Und noch ein paar Kleinigkeiten. „Aber alles kein Grund, um nicht weiterfahren zu können“, findet Sergej – dabei ist allein die defekte Bremse lebensgefährlich. Sergej ist wütend, obwohl er es noch am besten getroffen hat von den Fahrern, die im Freihafen bei ihren Fahrzeugen ausharren, die der TÜV als verkehrsuntauglich eingestuft hat: Er kann Deutsch – als einziger hier – und kennt sich mit seinem Wagen so gut aus, dass er ihn selbst reparieren kann. Vor allem aber ist er Single, keine Familie wartet zu Hause auf sein Gehalt.
Richtig los ging es im Juli vergangenen Jahres. Unter dem Eindruck mehrerer Unfälle mit schrottreifen Bussen begann die Wasserschutzpolizei, auch auf die Lastwagen ein strengeres Auge zu werfen, die im Freihafen Ladung abholen. Immer, wenn ein Lkw auffällt, wird er zum TÜV geschickt. „Bisher wurden dann auch bei fast jedem kontrollierten Auto erhebliche Mängel festgestellt“, sagt Kai Bernsdorf. Er ist Prokurist der Firma „BaLü Nutzfahrzeuge“. Ein großer Betonplatz dieser Firma ist Endstation der beanstandeten Fahrzeuge. Hier bleiben sie, bis sie entweder repariert oder mit einem Schlepper abgeholt werden. Beides ist nicht billig. Die osteuropäischen Speditionen, für die die meisten Wagen hier fahren, können dieses Geld nicht aufbringen, oder zumindest nicht sofort. Deswegen ist das „BaLü“-Gelände gut gefüllt.
Auf den ersten Blick könnte man es auch für einen ganz normalen Lkw-Stellplatz halten. Unwirtlich, von einem hohen Zaun umschlossen. Aber einiges verrät, dass die Männer, die in Gruppen bei ihren Wagen stehen, hier leben. Über abgeklappten Scheibenwischern hängen Pullover und Hosen zum Trocknen. Manchmal taucht in einem Führerhäuschen ein Kopf auf, der verschlafen guckt und dann wieder abtaucht. Zwei Fahrer verlassen gerade mit einem weißen Kanister das Gelände – Wasser holen. Sozialer Mittelpunkt des Lkw-Platzes ist die „Küche“: ein abgekoppelter leerer Anhänger. Durch seine gelbe Plane fällt warmes Licht ins Innere. Hier stehen Emailletöpfe mit Blumenmuster, Plastikschüsseln, um in ihnen abzuspülen, allerlei Dosen mit Vorräten, Wasserkanister und Geschirr. Fast ein bisschen wohnlich wird das ganze durch die Kabeltrommel, die vor dem Anhänger als Tischchen dient, samt Gartenstuhl. Hinter dem Wagen ist eine Chemie-Toilette aufgebaut. „Die Toilette für alle Fälle“ steht quer über der Tür. Und zwei Piktogramme: männlich und weiblich, eine Unisextoilette. Unnötig, hier leben nur Männer.
Vor dem „Versorgungswagen“ erzählen zwei Fahrer davon, wie hoffnungslos die Lage für sie ist. Valeri und Victor aus Weißrussland. Sie sind schon drei Wochen hier. Und rechnen damit, auch noch einige Zeit zu bleiben. Valeri hat Glück, seine Frau arbeitet, deswegen kommt sie auch ohne ihn über die Runden. Bei Victor sieht das anders aus. Seine Frau arbeitet nicht, außerdem hat er zwei Kinder. Die Familie lebt vom Ersparten. Danach werden sie sich etwas von Nachbarn oder Freunden leihen müssen. Das Geld, das er für die Fahrt nach Deutschland bekommt, hat er in den vergangenen Wochen längst in Hamburg ausgegeben. Wie lange er noch bleiben muss, weiß er nicht: „Die Chefs entscheiden alles. Wir spielen keine Rolle.“ Manche Fahrer sind sofort weg, weil sie die Erlaubnis erhalten, ihren Lkw zurückzulassen. Andere – dazu gehören Valeri und Victor – müssen eben abwarten. Wer will schon seinen Job riskieren?
Also versuchen sich die Fahrer mit ihrem Alltag im Freihafen zu arrangieren. Hilfe kam zunächst von der Hamburger Tafel, die den Fahrern Nahrung brachten. Mittlerweile liefert die Tafel allerdings nicht mehr. „Das war eine Entscheidung, die uns sehr weh getan hat“, erklärt Tafel-Chefin Annemarie Dose, „doch sie war nötig. Sonst ist die Stadt nie gezwungen, Druck auf die Speditionen auszuüben.“ Die Sozialbehörde wiederum lobt zwar ausdrücklich das Engagement der Tafel, führte auch Gespräche mit BaLü, um den Fahrern die Möglichkeit zu geben, Duschen der Firma zu benutzen. Zu mehr fühlt sich die Behörde nicht in der Lage. „Die Stadt hält sich aus der ganzen Sache fein raus“, meint Prokurist Kai Bernsdorf.
Den Fahrern bleibt nur: abwarten. In quälender Ungewissheit. Darüber, wann sie abfahren können. Und darüber, wie es zu Hause ist. Denn wie die Familie daheim zurechtkommt, wissen die Fahrer oft nicht genau. Zwar sind sie mit Handys ausgestattet, die aber gehören meist der Spedition – die Privatgespräche verbietet. Auch die Kälte macht den Männern zu schaffen. Weil teurer Sprit fehlt, können sie die Heizungen in ihren Wagen nur selten laufen lassen. „Hier wurden auch schon Partys gefeiert“, sagt Bernsdorf, was wohl eher den Umstand beschönigt, dass Alkohol für einige die einzige Möglichkeit ist, ihre Situation auszuhalten. „Was bleibt denn, außer trinken?“, kommentiert ein Fahrer.
Einige haben das Gefühl, dass auch in Deutschland mit ihrer Situation ein Geschäft gemacht wird. Valeri zeigt eine Visitenkarte mit kyrillischen Schriftzeichen und einer Adresse in Hamburg. Diese Werkstatt würde die Reparatur viel günstiger machen als „BaLü“. Nur die paar Kilometer vom Freihafen bis zur Werkstatt sind für die Fahrer, die mehrere hundert Kilometer aus Weißrussland zurückgelegt haben, unüberwindbar. Die Wagen müssten dorthin geschleppt werden – und dazu fehlt das Geld.
Heute kann ein Fahrer samt Lkw den BaLü-Betonplatz verlassen. Einer, für den die Reparatur sowieso zu teuer war. Er wird nach Kiel geschleppt und dort auf ein Schiff verladen. Ziel ist Litauen. „Da bekommt man schon fix Mitleid mit den Leuten, vor allem, weil man selbst Familie hat“, sagt Reiner Grimm. Die Firma, für die er arbeitet, übernimmt den Abtransport. Zwar sieht der Techniker auch die Mängel, die die Wagen haben: „Aber die Fahrer können nichts dafür, die werden ja nur damit losgeschickt und sind froh, wenn sie Arbeit haben.“ Vielleicht wird der Lkw in Litauen repariert. Bernsdorf hält das aber für unwahrscheinlich: „Die kommen da gleich wieder auf die Straße und fahren weiter.“ Vielleicht sogar zurück nach Deutschland.