SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow stellt sich den Fragen von Hinz & Künztlern
(aus Hinz&Kunzt 132/Februar 2004)
Der Verkaufsraum von Hinz&Kunzt: Hier holen Verkäufer ihre Zeitungen ab, trinken Kaffee, rauchen, dösen oder diskutieren. Letzte Unklarheiten über die Hamburger Politik sind gerade ausgeräumt („Wie, ist nicht die SPD an der Regierung?“), als plötzlich ein Mann im Raum steht. Kaum jemand hat ihn eintreten sehen. Er sagt eine Spur zu entschieden „Guten Tag“, dann legt er den eleganten Mantel und seinen Schal ab.
„Herr Mirow, warum sollen Obdachlose SPD wählen?“ Thomas Mirow, 51, sozialdemokratischer Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl, hat anders als Ole von Beust nicht gekniffen (siehe Seite 5). Jetzt steht er vor den Hinz & Kunzt-Verkäufern und sagt bedächtig: „Es tut weh, diese Frage zu beantworten, denn vieles, was für uns wichtig ist, ist für Sie nur begrenzt relevant.“ Dann holt er doch aus: „Die Richtung in der Sozialpolitik stimmt nicht mehr.“
Straßensozialarbeit, Winternotprogramm für Obdachlose, HVV-Sozialticket – überall sei gestrichen worden. Und der jetzige Senat suche das Gespräch mit den sozialen Einrichtungen nicht mehr. Warum heißt es dann im SPD-Wahlprogramm „Fördern und fordern“ – nicht anders als bei der CDU? „Das ist richtig, aber ein Unterschied bleibt: Wir nehmen das Fördern ernst.“
[BILD=#mirow2][/BILD]Wie geht es in der Innenstadt weiter? Haben Bettler und Obdachlose dort auch weiterhin Platz? Ja, sagt Mirow, er sei gegen eine Innenstadtverordnung, die in anderen Städten zum Beispiel das Übernachten im Freien verbietet. Aber ein Alkoholverbot für öffentliche Plätze will die SPD doch, oder? Mirow: „Ich habe mir über dieses Instrument noch keine abschließende Meinung gebildet.“ Streng setzt er nach: „Stark alkoholisierte Menschen in der Innenstadt sind ein Ärgernis.“ Die Bemerkung, dann sei es mit dem Stuttgarter Weinfest vor dem Rathaus wohl vorbei, quittiert er ohne Lächeln.
Wenn jemand nüchtern wirkt, dann Mirow. Der promovierte Politikwissenschaftler blickt auf eine glänzende Karriere im Hintergrund der Macht zurück. Er zog Fäden, ohne dafür ganz vorn zu stehen: als Büroleiter von Willy Brandt, Chef der Hamburger Senatskanzlei, Senator für Stadtentwicklung und Wirtschaft, als selbstständiger Politikberater. Doch jetzt muss Mirow selbst als Spitzenkandidat von allen Plakaten lächeln. Was hat ihn dazu gebracht? Berechnung? Parteidisziplin? Wenn es Leidenschaft ist, verbirgt er sie gut.
„Waren Sie schon mal im Landessozialamt?“, will Hinz&Kunzt-Verkäufer Peter Reinhardt vom Kandidaten wissen. „Nein, mein Weg hat mich bisher nicht dorthin geführt“, sagt Mirow. Reinhardt schildert die Zustände: stundenlange Wartezeiten, überlastetes Personal. Mirow nickt und sagt knapp: „Gut, dann hat Christian Bernzen was zu tun.“
Christian Bernzen steht neben ihm. Er ist in Mirows „Kompetenzteam“ für Soziales zuständig. Der 41-Jährige führt eine Anwaltskanzlei, die zahlreiche soziale Institutionen vertritt. Über die Wurzeln seines Engagements sagt er schlicht: „Ich bin ein Mann der katholischen Soziallehre. Das war familiär unausweichlich.“ Sein sozialpolitisches Credo: Hilfeempfänger ernst nehmen, sie nicht als Objekt staatlicher Zuwendung sehen, ihnen mehr Verantwortung geben, die Sozialpolitik entstaatlichen. „Viele Menschen leisten wichtige Beiträge, die gar nicht erkannt werden.“
In einer aktuellen Frage zeigt sich Bernzen gut informiert: Sozialhilfeempfänger, die viele Medikamente brauchen, müssen die Jahres-summe für Zuzahlungen manchmal schon im Januar aufbringen. Könnte da nicht das Sozialamt das Geld vorstrecken, fragt H&K-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Ja, sagt Bernzen, das Bundesgesetz sehe diese Möglichkeit vor, Hamburg habe sie aber nicht umgesetzt. In der Deputation wolle er demnächst darauf hinweisen. „Schön, wenn wir ein Thema für den Wahlkampf haben. Aber noch schöner, wenn wir den Menschen schnell helfen könnten.“
Mirow erntet unterdessen Applaus für seine Ankündigung, die SPD wolle jährlich 2400 neue Sozialwohnungen fördern. Als Verkäufer Reinhardt sagt, er suche schon seit einem Jahr eine Wohnung, und das mit Dringlichkeitsschein, antwortet Mirow unerschütterlich korrekt: „Wo es Ansprüche gibt, ist die Stadt verpflichtet, ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen.“
Nach 30 Minuten muss der Spitzenkandidat weiter. Beim Schlusswort wird es still im Raum. „Ich würde Ihnen gern den Eindruck vermitteln, dass ich nicht die Absicht habe, Ihnen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Dazu ist Ihre Lage zu ernst.“ Die Sprache ist akademisch, die Botschaft kommt an. Die Verkäufer danken es mit Beifall.
Detlev Brockes
Und alles ohne Ole!
Geschichte eines nicht zustande gekommenen Interviews
Unser Draht ins Rathaus ist momentan so heiß wie nie. So oft, wie wir in den vergangenen Wochen mit der Senatskanzlei telefoniert haben, telefoniert man sonst nicht mal mit seinen besten Freunden. Natürlich gings um Ole – seit dem Start des Wahlkampfs („Ole wählen!“) darf man ihn auch offiziell so nennen. Schließlich wollten wir nicht nur den Herausforderer Thomas Mirow zum Hausbesuch einladen, sondern auch den Spitzenkandidaten der CDU.
Am Stehtisch im Vertrieb sollten sich die Spitzenkandidaten an unterschiedlichen Tagen den Fragen der Hinz & Künztler stellen. Reaktion von Senatssprecher Christian Schnee: „Das ist eine Gruppendiskussion“, beschied er. „Und das machen wir nicht.“ Auch terminlich sahs schlecht aus. „Schließlich muss Ole von Beust nebenbei regieren. Das ist bei Thomas Mirow ja nicht der Fall“, sagte Schnee spitz. Angebot zur Güte: Zwei Vertreter von Hinz & Kunzt dürfen den Bürgermeister besuchen. Verkäufer Peter Reinhardt bereitete sich intensiv vor. Akribisch schrieb er Fragen auf: Um die Abschaffung des Sozialtickets sollte es gehen, die Praxisgebühren – und die Frage: Sind Sie ein Bürgermeister der Armen?
Weils so speziell war, bat die Senatskanzlei um die Vorabsendung der Fragen – und verschob den Termin. Wir vereinbarten allgemeine Fragen – dachten aber nicht, selbst die vorab schicken zu müssen. Wieder wurde der Termin verschoben. Tja, und dann war Redaktionsschluss. Irgendwas ist immer.