Der Deutsche Kinderschutzbund warnt vor der Ausbeutung Jugendlicher
(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)
Sie helfen an Marktständen oder verteilen von Haus zu Haus Werbezettel. Andere verrichten gegen Bezahlung schwere körperliche Dienstleistungen in fremden Haushalten. In Berlin arbeitete eine 14-Jährige wöchentlich sechs Stunden als Barkeeperin in einer Kneipe, ein 16-Jähriger jedes Wochenende in einer Diskothek. Über Kinderarbeit in Deutschland wird nur wenig gesprochen. „Dennoch“, sagt der Geschäftsführer des Kinderschutzbundes in Hamburg, Uwe Hinrichs, „ist sie ein großes Problem.“
Weltweit wird von 250 Millionen Kindern ausgegangen, die arbeiten müssen – etwa die Hälfte von ihnen jeden Tag, zumeist in Afrika, Asien und Lateinamerika. In Deutschland geht der Kinderschutzbund von rund 700.000 Kindern aus, die verbotene Arbeit verrichten. Für Hamburg wird vorsichtig die – nur geschätzte – Zahl 5000 genannt. Geschäftsführer Hinrichs: „Jeder weiß, dass es verbotene Kinderarbeit gibt. Es fehlen aber Untersuchungen, die das Ausmaß beschreiben.“
Wenn Kinder arbeiten, dann ist dies auch hierzulande nicht grundsätzlich verboten. Arbeiten darf, wer mindestens das 9. Schuljahr beendet hat, also zumeist 15 Jahre alt ist. Erlaubt ist dann bis 20 Uhr die Verrichtung nicht gefährlicher Tätigkeiten. Leichte Dienstleistungen dürfen auch schon von 13-Jährigen ausgeübt werden, wenn dies nur gelegentlich geschieht, allerdings nicht am Wochenende und höchstens bis zu zwei Stunden, niemals jedoch länger als bis 18 Uhr. Besondere Ausnahmeregelungen gelten für Kinder, auch ganz kleine, die als Darsteller vor Kamera oder Mikrofon stehen – in der Medienstadt Hamburg bis zu 3000 im Jahr.
Die Verbote sollen junge Menschen vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor Gefahren schützen, die mit der Arbeit verbunden sind. Frühe körperliche Arbeit verursacht gesundheitliche Schäden und kann auch die moralische oder soziale Entwicklung beeinflussen. Was aber ist leichte Arbeit, was schwere oder gefährliche? Wann werden erlaubte Tätigkeiten zu verbotenen? Wenn 13-Jährige nach der Schule Nachbars Tochter hüten und dafür ein paar Euro erhalten, dann ist das erlaubt. Wenn sie dies jedoch auch mal abends machen – weil Vater oder Mutter zum Elternabend müssen oder ins Kino wollen –, dann bleibt das verboten. Und auch wer gegen Bezahlung einen Nachmittag lang einen Hund betreut und mit dem dann länger als zwei Stunden durch einen Park tobt, handelt unerlaubt. Nachvollziehbarer hingegen das grundsätzliche Verbot von Tätigkeiten wie Regale auffüllen in Supermärkten oder Arbeiten auf Baustellen und auch im gewerblichen Bereich, zum Beispiel in Tischlerwerkstätten.
Manche Tätigkeit bewegt sich so in einer Grauzone zwischen Freizeitspaß und Kinderarbeit. Babys sitten oder im Reitstall Pferde pflegen ist nicht nur Arbeit, die ein paar Euro oder freie Reitstunden einbringt. Sie ist auch ein Erleben, das Freude bereiten kann. Dass häufig jedoch auch schwere körperliche Arbeit verrichtet wird, zeigt – neuere Studien gibt es in Deutschland nicht – eine neun Jahre alte Untersuchung der Berliner Sozialbehörde. Etwa die Hälfte der anonym befragten Siebt- bis Zehntklässler hatte danach bereits Erfahrungen in der Arbeitswelt gesammelt. Davon wiederum ging mehr als die Hälfte gegen Bezahlung verbotener Arbeit nach: Dienstleistungen wie Putzen in fremden Haushalten, Vertrieb von Zeitungen oder Werbematerial, Mitarbeit im Handel oder bei Handwerkern. Besonders bedenklich nannten die Autoren, dass jeder zehnte befragte Junge auf Baustellen mit Abrissarbeiten oder anderen schweren Arbeiten beschäftigt war.
Vieles spielt sich im privaten oder nachbarschaftlichen Bereich ab. Eltern verpflichten ihre Kinder, für sie Treppenhäuser zu putzen oder im eigenen Betrieb mitzuhelfen. Andere Kinder jobben in Praxen oder Büros mit dem Versprechen, später einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Oder helfen in der Nachbarschaft auf privaten Baustellen. Drei Viertel arbeiten, so heißt es beim Kinderschutzbund, um sich Konsumwünsche erfüllen zu können. Die anderen leben in Armut. „Kinderarbeit“, sagt Geschäftsführer Hinrichs vom Kinderschutzbund, „ist auch in Deutschland ein Ausdruck von Armut und Not.“
Hinrichs appelliert an die Eltern, sich ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern bewusst zu sein. „Was Kinder machen, ist oft von den Eltern gewollt“, sagt er, „übertriebener Ehrgeiz beim Sport kann aber ebenso schaden wie Stress verursachende Filmaufnahmen.“ Zwar sind in der gut ausgeleuchteten Künstlerszene praktisch keine Verstöße festzustellen, „doch auch was erlaubt ist, ist nicht immer gut für ein Kind.“
Beim Hamburger Amt für Arbeitsschutz ist Klaus-Dieter Mayer zusammen mit einem weiteren Mitarbeiter für das Aufspüren verbotener Kinderarbeit zuständig. 2002 wurden fünf Verstöße festgestellt. Kein Anlass zur Sorge also? „Jedenfalls konnten wir nicht mehr Fälle belegen“, antwortet Mayer. In größeren Betrieben würden kaum Probleme auftreten. Doch in Kleinbetrieben gibt es nach seiner Erfahrung eine Dunkelziffer, „da wird in der Tat geklüngelt.“
Beim Kinderschutzbund fordert Geschäftsführer Hinrichs genauere Untersuchungen und stärkere staatliche Kontrollen. Bisher bleibe vor allem ein Gefühl der Unzufriedenheit. Die Politik unternehme zu wenig, um Missstände aufzudecken. Und von den Betroffenen selbst – den Kindern, Eltern und Betrieben – rede sowieso niemand öffentlich über das Thema. „Die haben alle ihr spezielles Interesse, dass dies im Verborgenen bleibt. Denn jeder profitiert auf seine Weise davon.“