Die Auseinandersetzungen um den geplanten Abriss der Esso-Häuser an der Reeperbahn gehen weiter. Eine Versammlung, an der neben Vertretern der Investoren nur Mieter teilnehmen durften, die sich als solche ausweisen konnten, wurde von buntem Protest begleitet.
Ein blau-weißes Fahnenmeer schmückt am Donnerstagabend den Bürgersteig vor Angie’s Nightclub am Spielbudenplatz. Aus Lautsprechern tönt bayerische Volksmusik, eine junge Frau jodelt durch ein Megaphon. „St. Pauli wird jetzt bayerisch!“, ruft ein Mann mit süddeutschem Akzent. Jodeln solle Pflichtfach in der Schule werden. „Ein CSU-Ortsverein ist auch in Planung!“, kündigt er durch seine Flüstertüte an. Dann folgt ein Sprachkurs, die rund 30 Aktivisten der Initiative ESSO-Häuser sprechen nach: „Baut’s eier Häusle woanders!“
Die Bayerische Hausbau AG hat die Bewohner der Esso-Häuser zu einer Mieterversammlung ins Angie’s eingeladen. Das Treffen war umstritten, weil die Anwohnerinitiative davon ausgeschlossen wurde: nur Mieter, die sich ausweisen konnten, durften teilnehmen. Auch Journalisten erhielten keinen Zugang. Einige Mieter befürchteten, der Immobilienkonzern wolle sie so übervorteilen. Der plant Abriss und Neubau des Gebäudekomplexes am Spielbudenplatz und hatte im Februar die Gespräche mit der Initiative ESSO-Häuser abgebrochen, weil er ihr eine Verzögerungstaktik vorwarf. Die Initiative fordert den Erhalt der Bausubstanz und eine Instandsetzung, unbefristete Mietverträge für alle Mieter und langfristige Mietverträge für die Gewerbetreibenden.
Bereits nach kurzer Zeit kommt Peter Westermann wieder aus dem Angie’s. Der 56-jährige Mieter wohnt seit 21 Jahren in dem Gebäudekomplex südlich des Spielbudenplatzes. „Die Stimmung war eiskalt beschissen“, beklagt er sich. Bereits die Personalienkontrolle am Einlass hat ihn gestört. „Das war ja schlimmer, als in die Davidwache reinzukommen“, schimpft er. Es seien etwa 25 Mieter anwesend gewesen, die Bayerische Hausbau habe von vorne herein auf den Abriss der Esso-Häuser gepocht. „Wir möchten aber eine offene Diskussion mit denen führen“, sagt Westermann, der sich auch in der Initiative engagiert.
Nach eineinhalb Stunden ist die Mieterversammlung vorüber. Um kurz nach 21 Uhr kommt Jonas Seidel aus dem Nightclub. Er wohnt seit November 2011 in den Esso-Häusern und hat das Treffen als unfair empfunden. „Die Bayerische Hausbau hat mit Lügen versucht, Vertrauen aufzubauen“, sagt er. So sei der Inititative ESSO-Häuser unterstellt worden, kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Konzern zu haben. „Sie haben versucht, die Mieter gegen die Initiative aufzuhetzen“, sagt der 20-jährige, der selbst auch in der Initiative aktiv ist. Das habe aber nicht funktioniert: „Die Bayern wollten ihr Konzept durchziehen, mussten aber einsehen, dass das so nicht klappen wird.“ Die anwesenden Mieter seien mit den Vorschlägen des Konzerns nicht einverstanden gewesen. „Es gab heute Abend kein Ergebnis, das irgend jemanden befriedigt haben könnte“, findet der Mieter.
„Sehr zufrieden“ ist der Immobilienkonzern mit dem Ablauf der Versammlung. „Wir hatten die Möglichkeit, einem guten Viertel der Mieter unsere Standpunkte darzulegen“, sagt Unternehmenssprecher Bernhard Traubenberger. „Die Versammlung ist nicht unbedingt harmonisch verlaufen“, räumt er ein. Es sei aber bereits begrüßenswert, dass der Austausch mit den Mietern nicht mehr über Pressemitteilungen geführt werden müsse. Die Befürchtungen der Initiative, die Bayerische Hausbau könnte auf der Versammlung die Mieter übervorteilen, weist er zurück: „Wir sind nicht irgendwelche Vagabunden, die täuschen und tricksen“, sagt Traubenberger. Bei der Versammlung sei das Angebot an die Mieter bekräftigt worden, eine Rückkehr in die neugebauten Wohnungen zur selben Miete zu ermöglichen. Die Bewohner fürchten trotzdem eine Aufwertung und damit verbundene Verdrängung, weil neben Sozialwohnungen auch Eigentumswohnungen gebaut werden sollen.
Für die Zukunft plant die Bayerische Hausbau zwei bis drei solcher Mieterversammlungen im Jahr. Auch Einzelgespräche soll es geben, „in denen die individuelle Situation jedes Wohn- und Gewerbemieters besprochen werden soll“, kündigt der Konzern in der Pressemitteilung an. An seinem Plan, die Häuser abzureißen, hält er weiterhin fest.
Text: Benjamin Laufer
Foto: Simone Deckner
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