Flüchtlinge leben hierzulande unter schwierigen Bedingungen. Sie haben weniger Rechte als deutsche Staatsbürger, dürfen sich nicht frei bewegen und bekommen kaum Bargeld. Wie die 21-jährige Nurjana Ismailova, die akut von Abschiebung bedroht ist.
Für Nurjana Ismailova wird gerade jeder Besuch zu einer nervlichen Zerreißprobe. „Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt, kriegen wir panische Angst“, sagt sie. Angst davor, dass Polizei und Ausländerbehörde vor der Tür stehen, um sie, ihren Bruder und ihre Eltern mitzunehmen. Nurjana holt dann ihr Handy raus, um schnell Unterstützung herbei rufen zu können. Erleichterung kehrt erst ein, wenn Nachbarn oder Freunde vor der Tür stehen. „Das macht einen psychisch auch total fertig“, sagt die 21-jährige Frau.
Heute steht sie vor zwei Schulklassen im Hamburger St. Ansgar Gymnasium, und erzählt ihre Geschichte. Nurjana ist geduldeter Flüchtling und rechnet jeden Tag mit der Abschiebung, zurück in die Kaukasusrepublik Dagestan, in der ein Bürgerkrieg herrscht. Von dort war sie vor zehn Jahren mit ihrer Familie geflohen, weil politische Verfolgung drohte.
„Ich darf Niedersachsen eigentlich nicht verlassen“, sagt Nurjana. „Damit ich herkommen durfte, musste ich bei der Ausländerbehörde eine Ausreisegenehmigung beantragen.“ Acht Jahre lang durfte sie nicht einmal die Stadt Gifhorn verlassen, weil die so genannte Residenzpflicht das den Flüchtlingen vorschreibt. „Das hält man nicht aus“, sagt Nurjana. Seit einem Jahr kann sie sich dank einer Gesetzesänderung zumindest im Land Niedersachsen frei bewegen.
Es sind Einblicke in das Leben eines jungen Flüchtlings, die die Schüler hier bekommen. „Innerhalb von 10 Jahren musste ich in drei verschiedenen Lagern leben“, berichtet Nurjana. Fünf Quadratmeter für jeden, Etagenbetten, ein kleiner Tisch im Zimmer. 75 Menschen, die sich drei Toiletten teilen. „Da ist kein Platz zum Hausaufgaben machen“, sagt sie. Trotzdem hat sie ihren Realschulabschluss geschafft, kann damit aber nichts anfangen. Denn arbeiten darf Nurjana in Deutschland nicht, obwohl sie es gerne würde. „Ich durfte nach meinem Schulabschluss nichtmal ein unbezahltes Praktikum machen“, erzählt sie.
„Ich war mit dieser Situation nicht einverstanden“, sagt Nurjana. Deshalb hat sie angefangen, sich bei der Flüchtlingsorganisation Jugendliche ohne Grenzen (JOG) zu engagieren. „Die Innenminister sagen immer: die Flüchtlinge, die arbeiten, können hier bleiben“, berichtet sie. „Es gibt aber auch Flüchtlinge, die krank sind und nicht arbeiten können oder dürfen. Wir wollen, dass die hierbleiben dürfen!“ Seit 2010 arbeitet sie bei JOG mit, sammelt Unterschriften, organisiert Demonstrationen, gibt Interviews. Dieses Engagement könnte ihr nun zum Verhängnis werden. „Die Ausländerbehörde hat mitbekommen, dass ich in den Medien präsent war“, sagt Nurjana, „und jetzt wollen die mich zuerst abschieben.“
Um die Abschiebung zu verhindern, sammelt Nurjana gerade Unterschriften. 12.000 sollen es werden, die an die niedersächsische Härtefallkomission geschickt werden sollen. Nurjana hofft, ein humanitäres Bleiberecht zu bekommen, weil sie in Deutschland verwurzelt ist. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, seit zehn Jahren lebt sie als Gedultete in Deutschland. Ihr wird seitdem immer für kurze Zeit der Aufenthalt in der Bundesrepublik genemigt, oft nur für einen Monat. Nurjana zeigt ihre aktuelle Duldung, die bis zum 12. April gilt, mit Stempel vom 12. März. Wie es dann weiter geht? „Ob die verlängert wird, weiß man nie“, sagt sie.
Die Schülerinnen und Schüler haben nach Nurjanas Vortrag nur noch eine Frage: Wie können wir helfen? „Zählen unsere Unterschriften auch, wenn wir unter 18 sind?“, fragt ein Schüler. „Dann können wir doch auch mit dem Zettel durch die Schule rennen!“ Und Lehrerin Maria Meyer zu Natrup fragt zum Abschluß, ob Nurjana noch einmal wieder kommen würde, wenn demnächst Europa das Thema im Unterricht ist. Da gehöre die Flüchtlingspolitik dazu. „Es ist ja klar, dass jetzt nach den Anschlägen der Zwickauer Terrorzelle NSU der Kampf gegen Nazismus natürlich auch Unterrichtsinhalt ist!“, sagt sie.
Der Vortrag fand im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus statt. „Wir wollen institutionalisierten Rassismus genauso beleuchten, wie die rechte Szene“, sagt Lars Jäschke vom Verein Laut gegen Nazis. Unter dem Motto „Hamburg steht auf“ hatte dieser die Aktionswoche federführend organisiert. „Flüchtlinge sollten das Recht darauf haben, genauso behandelt zu werden, wie wir“, findet er. Die deutsche Asylpolitik führe jedoch zu einer starken Ungleichbehandlung. Über Flüchtlinge gebe es viele Vorurteile, die auch von der rechten Szene immer wieder aufgegriffen würden. Zum Beispiel, dass Flüchtlinge hier her kämen, um den Deutschen die Arbeitsplätze weg zu nehmen. „Wir wollen diese Mythen aufbrechen und widerlegen“, sagt Jäschke. Nurjanas Pläne gehen weiter: „Unser großes Ziel ist: Bleiberecht für alle Flüchtlinge“, sagt die junge Frau. „Flüchtlinge sind auch Menschen und alle Menschen sind gleich!“
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Text und Foto: Benjamin Laufer