Ein Sheriff zum Anfassen

Staatsgewalt privat: ein Besuch im Polizeiposten Ochsenwerder

(aus Hinz&Kunzt 127/September 2003)
Ein Straßenschild am Maisfeld weist auf den Polizeiposten am Elversweg in Ochsenwerder hin. Aber selbst ohne diesen Hinweis wäre der Posten mühelos zu finden. Nicht etwa, weil er in einem großen und bedeutenden Gebäude untergebracht wäre. Es kann einem einfach jeder den Weg weisen: „Unseren Dorfsheriff finden Sie da drüben“ heißt es, egal wen man fragt. Alle kennen Joachim Milinovic hier, auf dem Lande, wo die Industrieabgase dem brackigen Duft von Dove- und Norderelbe gewichen sind und der Blick frei über die Marschlande schweifen darf.

„Ich mag keine Unpünktlichkeit, ich bin Beamter“, hatte Oberkommissar Milinovic am Telefon gesagt. Jetzt, um Punkt elf Uhr, öffnet der 52-Jährige die schusssichere Haustür – und bittet ohne Umschweife und ganz und gar nicht beamtenmäßig in sein Wohnzimmer. Dabei gibt es in dem kleinen Klinkerhäuschen auch ein Dienstzimmer, bestückt mit Computer, Bürostühlen, Telefon, dem obligatorischen Gummibaum und allem, was den etwas muffigen Charme einer Amtsstube verströmt. Sogar eine winzige Zelle, etwa ein Quadratmeter groß und mit einem vergitterten Fensterchen ausgestattet, kann der Oberkommissar vorweisen. Doch die Zelle, so sagt Milinovic, wird schon lange nicht mehr genutzt.

Jetzt lagern seine Sportschuhe und die private Plattensammlung darin.

So wie überhaupt Privates und Dienstliches bei dem Leiter des Polizeipostens nicht haarscharf zu trennen sind: Joachim Milinovic arbeitet nicht nur in dem Posten, er lebt auch dort, gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls Polizistin ist. Und er ist obendrein Besitzer des 1958 erbauten Häuschens.

Da sitzt der Uniformierte nun auf der gemütlichen Wohnzimmer-Coach. Mit einer einladenden Geste bietet der Beamte Kaffee und Kekse an. „Nu lang schon zu, muss wech das Zeugs“, sagt er in breitestem Hamburgisch, um gleich hinzuzufügen, dass es in den Vier- und Marschlanden durchaus üblich sei, sich zu duzen.

Keine Frage: Joachim Milinovic ist ein Polizist zum Anfassen. Seit elf Jahren leitet der gebürtige Altengammer den Polizeiposten, und das empfindet er als Glück. Natürlich gibt es viel zu tun in dem Gebiet zwischen Tatenberg, Oortkatenweg und Reitbrook. Von Nachbarschaftsstreitigkeiten über Diebstahl bis hin zu Mord kommt alles vor. „Auch hier sind sich die Leute nicht grün“, sagt der Polizist, der vor allem die Städter für Unruhe und die in den vergangenen Jahren gestiegene Kriminalität verantwortlich macht. Häufig wird er zu den Campingplätzen, Badeseen oder Kleingärten gerufen, wo sich vor allem Städter tummeln, oder er muss Streit zwischen Einheimischen und „Zugereisten“ schlichten, weil sich letztere lieber auf die Ordnungsmacht verlassen, anstatt Konflikte im Gespräch zu lösen.

Trotzdem: „Hier ist Polizeiarbeit noch so, wie ich mir das vorgestellt hab’, als ich in jungen Jahren in den Polizeidienst eingetreten bin.“ Da wird nicht nur abgearbeitet, da steht noch der Mensch im Vordergrund, da kennt man sich – die „überwiegend positiven Menschen“ genauso wie die „Pappenheimer“, denen Milinovic auf den Zahn fühlen muss.

Auch „Nachsorge“ ist etwas, für das sich der Oberkommissar Zeit nimmt – meist nach Dienstschluss. „Wenn bei jemandem eingebrochen wurde, fahr ich ein paar Tage später vorbei und frag, wie’s geht, denn bei einem Einbruch wird schließlich auch massiv in die Intimsphäre eingegriffen“, sagt Milinovic.

Dass sich um die Privatsphäre des Beamten kaum einer schert, steht auf einem anderen Blatt Papier. „Das wusste ich, bevor ich den Posten angetreten habe.“ Milinovic ist rund um die Uhr ansprechbar – auch wenn er nicht im Dienst ist, egal ob beim Einkaufen oder Spazieren gehen. Oft wird das Polizistenpaar eingeladen, zum Beispiel auf Jubiläen, und oft treten die Gastgeber mit dem Wunsch an Milinovic heran, in Uniform zu erscheinen.

Seiner Vorbildfunktion ist sich der Beamte bewusst. „Hier ist eine Stoppstraße, da bin ich wahrscheinlich der einzige, der da immer hält“, sagt er und lacht. Man steht halt ständig unter Beobachtung. Aber das gehöre nun mal dazu, auch, dass manche Leute noch spät abends an der Türe klingeln. Milinovic erklärt das so: „Wenn jemand außerhalb meiner Dienstzeit ein polizeiliches Anliegen hat, dann ist das so, als wenn ein Nachbar zu mir kommt und sich ’ne Dose Zucker leiht.“

Dass nicht alle Anliegen mit seinem Job zu tun haben, findet der Polizist auch in Ordnung, man hilft, wo man kann. Da war zum Beispiel dieser Anruf aus Mallorca: Ein Ochsenwerderaner wollte sich im Urlaub einen Mietwagen leihen, hatte aber keinen Führerschein dabei. So bat er kurzerhand seinen Dorfsheriff, er möge den Besitz der Fahrerlaubnis doch bitte per Fax bestätigen. Manchmal allerdings muss selbst der Oberkommissar passen: Wenn er gebeten wird, bei der Steuererklärung zu helfen zum Beispiel.

So gleicht das Leben des Udls – wie man in Hamburg einen Polizisten freundlich nennt – eher dem eines Dorfpastors: immer präsent, immer erreichbar. Schließlich sind bei den Milinovics selbst die Dienst- und die Privat-Telefonnummer identisch. Wenn der Oberkommissar unterwegs ist, bekommt der Anrufer daher auch oft die Frau des Polizisten an die Strippe. Sie schiebt zwar eigentlich in Bergedorf Dienst, in ihrer Freizeit schreibt sie trotzdem geduldig Zettel für ihren Mann – oder gibt gleich selbst Auskunft; schließlich ist auch sie vom Fach.

Nur manchmal ist selbst der geduldige Oberkommissar genervt: Wenn er zum Beispiel die Haustür nicht öffnet und die Leute dann durch den Garten marschieren, um zu sehen, ob er nicht doch auf der Terrasse liegt. Oder wenn wieder mal Anfragen aus ganz Deutschland bei den Milinovics auflaufen, weil die Auskunft der Telekom seit der Umstellung der Behördentelefone auf Hansenet nur noch die Nummern der neun Hamburger Polizeiposten ausspuckt. Im Urlaub bleibt dem Polizistenpaar daher nur ein Ausweg: wegfahren, und zwar vom ersten bis zum letzten Tag.

Milinovic ahnt schon, dass er auch im Ruhestand noch Ansprechpartner in Sachen Polizei bleiben wird. Denn im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der vor elf Jahren aus dem Polizeiposten auszog und sich seither nicht mehr in der Gegend blicken lies, will Milinovic in seinem Häuschen den Lebensabend verbringen. Und wer weiß: Wenn der Oberkommissar im Jahr 2011 in Pension geht, ist seine Frau gerade 40 Jahre alt geworden. Sie hätte dann das Alter erreicht, einen Polizeiposten führen zu dürfen.

Eine billige Lösung für die Behörde wäre das, es müssten weder der Name noch die Telefonnummer und Anschrift geändert werden. Das Leben ohne Privatsphäre, das kennt sie ohnehin. Und die Zettel, die heute sie immer schreibt, wenn jemand den Polizisten nicht persönlich erwischt, die schreibt dann eben ihr Mann – Auskunft inklusive.

Annette Woywode

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