„Klasse, endlich bin ich meine Mutter los“ – Ausflug ins Mais-Labyrinth
(aus Hinz&Kunzt 126/August 2003)
„Hast du die Schubkarre gesehen?“ Es sind solche Fragen, die Karsten Eggert (34) seit kurzem nicht mehr hören möchte. Denn wer jetzt aufs Feld muss, um die Schubkarre zu suchen, hat kilometerlange Irrwege vor sich und kehrt vielleicht erst nach einer Stunde entnervt zurück. Ohne das Ding gefunden zu haben.
Auf einem Feld bei Jersbek, zwischen Ahrensburg und Bargfeld-Stegen, hat Eggert Ende Juli sein Mais-Labyrinth eröffnet. Bis Mitte September rechnet er mit etlichen tausend Besuchern. Sie werden die Wege abschreiten, die er in kunstvollen Formen im Mais angelegt hat. Sie werden landwirtschaftliches Dschungelgefühl genießen – immerhin wachsen die Pflanzen mehr als zwei Meter hoch. Und sie werden nach vielen Irrwegen an einem Platz ankommen, wo sie sich am Freiluft-Tresen stärken können. Einige haben die Gelegenheit genutzt und unterwegs leidige Familienangelegenheiten geregelt: „Das Labyrinth ist klasse, endlich bin ich meine Mutter los“, stand vergangenes Jahr im Gästebuch.
Die grünen Irrgärten breiten sich aus. Besucher haben ihren Spaß, Bauern verdienen sich ein paar Euro dazu, und im Herbst wird alles abgemäht. Die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein hat zwar keine Zahlen, aber Sprecher Manfred Christiansen bestätigt den Trend: „Das nimmt zu.“ Vor allem rund um Hamburg und in den Urlaubsgebieten sei die Nachfrage groß. Die Leute können „rein in die grüne Natur“, so Christiansen, „und Fragen stellen“. Warum wir den ganzen Mais eigentlich brauchen. Und warum die Kühe ihn so gerne fressen.
Doch allein auf Wissbegier in Agrarfragen wollen die Labyrinth-Betreiber nicht vertrauen. Um die Irrgärten rankt sich inzwischen ein Programm, das vom bewährten Kaffeeausschank bis zu schrillen Events reicht, etwa der „Scream-Night“ in Eekholt oder dem „Rasenmäher-Traktor-Rennen“ in den Gängen des Besdorfer Labyrinths (siehe unten). Karsten Eggert veranstaltet auf seiner Feld-Bühne ein ganzes „Sommerfestival“ – mit „Taschenlampen-Party“, Open-Air-Kino, Kleinkunst-Nacht und Live-Musik. Zur Kurzweil auf den Wegen (und um Kinder von Abkürzungen abzuhalten) setzt er ein Maisgespenst ein. Die grün gekleidete Gestalt stößt ihr „U-aaah“ allerdings etwas vorsichtiger aus, seit eine Familie im Feld so erschrak, dass sie schreiend zum Parkplatz lief.
Für Karsten Eggert ist es das fünfte Labyrinth. Der Ahrensburger, der kurz vor dem Examen sein Betriebswirtschaftsstudium knickte und derzeit als Bildtechniker in der Fernsehproduktion jobbt, hatte in den neunziger Jahren von einem Mais-Labyrinth in England gelesen. Eine Weile lag der Zeitungsartikel in der Schublade. Als dann Eggerts damaliger Job auslief, griff er die Idee auf. 1998 legte er mit vier Freunden in Stapelfeld, im Osten Hamburgs, selbst ein Labyrinth an, stellte einen Klapptisch auf und schob einen Imbisswagen ins Feld.
Gleich mehrere Fernsehsender brachten Luftaufnahmen – „und am nächsten Tag war der Parkplatz voll“, erinnert sich Eggert. „Getränke mussten wir von der Tankstelle holen, und als uns die Pappen für die Wurst ausgingen, haben wir Maisblätter genommen.“ Wegen des außergewöhnlichen Medien-Echos, das seine Aktion damals hatte, vermutet er: „Wir waren wohl die ersten in Deutschland.“
1999 legte er ein Labyrinth im niedersächsischen Luhmühlen an, wo die Europameisterschaft der Military-Reiter stattfand, und weil eine Bank als Sponsor auftrat, brachte er ein überdimensionales Euro-Zeichen im Feld unter. 2000 war er vor den Toren der Weltausstellung in Hannover dabei. Der Ruhm war groß, die finanzielle Pleite auch. Zur Erleichterung seiner Kundenbetreuerin bei der Bank verzichtete er 2001 auf ein Projekt. Im vergangenen Jahr pachtete er dann erstmals das Maisfeld von Landwirt Carsten Studt in Jersbek. In diesem Jahr lautet das Motto: Garten Eden. Rund fünf Kilometer Wege schlängeln sich durch den Mais.
Aus der Luft betrachtet zeigen sie einen Apfel, einen Schmetterling und zahlreiche kleinere Symbole. Um den Baum der Erkenntnis darzustellen, sind weitere drei Kilometer Wege in ein angrenzendes Feld mit Wintergerste eingeschnitten. Die Feldforschung im Futtermais hat kulturgeschichtlich einen großen Hintergrund: Das Labyrinth ist ein altes Symbol der Menschen. In der klassischen Form gibt es nur einen einzigen Weg, ohne Kreuzungen, ohne Sackgassen. Er erreicht nach vielen Windungen schließlich die Mitte. Ein Zeichen für die Umwege, die der Mensch auf seinem Lebensweg macht, aber auch für die Gewissheit, immer geführt zu werden.
Andere Labyrinthe, besser als Irrgärten bezeichnet, sind komplizierter: Wege verzweigen sich, manche enden im Nirgendwo. Vorbei ist es mit dem meditativen Wandeln: Der Mensch darf entscheiden, welchen Weg er nimmt – und kann sich verirren. Plötzlich heißt es nicht mehr „Der Weg ist das Ziel“, sondern „Das Ziel ist weg“. Der griechische Königssohn Theseus hatte es da besser. Der Sage nach besiegte er den Minotaurus, der auf Kreta im Zentrum eines Labyrinths lebte. Das schaffte er aber nur, weil seine Geliebte Ariadne ihm eine Orientierungshilfe mitgegeben hatte: ein Knäuel, von dem er Faden abrollen konnte.
Zurück in die norddeutsche Gegenwart. Wie kommen hier die Gänge in den Mais? „Wir haben eine computergesteuerte Sämaschine, die gleich die Wege frei lässt “, sagt augenzwinkernd Gymnasiallehrer Wilhelm Bußmann, der zusammen mit Landwirt Hauke Carstensen ein Mais-Labyrinth beim Wildpark Eekholt betreibt. „Das funktioniert wie bei einer Strickmaschine, die Maschen auslässt.“ Mit solchen Geschichten unterhält Bußmann gelegentlich seine Besucher („Die glauben das“), doch die Wirklichkeit ist härter. Wenn die Saat im Boden ist, wird das Feld in Planquadrate eingeteilt. Helfer rücken mit der maßstabsgetreuen Skizze und Maßbändern vor und markieren mit Holzpflöcken und Kilometern von Trassierband, wo später die Wege sein sollen. An diesen Stellen werden dann die Maispflanzen, solange sie noch klein sind, abgefräst, herausgehackt oder -gerissen. Karsten Eggert hat für diese Handarbeit vier Tage gebraucht – zusammen mit zehn Helfern.
Auch im Dschungel von Organisation und Finanzierung waren viele Wege zu lichten, bevor das Jersbeker Labyrinth eröffnen konnte. Gema-Gebühr und Schanklizenz, der Bauantrag für die Bühne und das Gutachten der Feuerwehr, ob auf dem Platz ein Lagerfeuer flackern darf. Dann noch die kostenpflichtige Sondergenehmigung, damit Autos von der Straße aufs Feld einbiegen dürfen. Und den WC-Container stellte der Lieferant auch erst ab, als die Hälfte angezahlt war.
Ohne Preis kein Mais: Eggert musste alles vorstrecken, und das bereitet ihm gelegentlich Stress. Aber der ist hoffentlich vergessen, wenn er die Augustabende in seiner Freiluftkneipe genießt und auch mal auf dem Feld übernachtet. Trotz Maisgespenst.