Stadtteil für wen?

Anfangs waren viele begeistert. Doch nun gibt es Streit um die „Neue Mitte Altona“: Während der Senat lieber heute als morgen 3500 Wohnungen gebaut sehen will, fordern Bürger vor Ort einen Planungsstopp. Wichtige Unterlagen seien ihnen vorenthalten worden, Forderungen unter den Tisch gefallen.

(aus Hinz&Kunzt 228/März 2012)

Braucht Altona 1200 neue Eigentumswohnungen? Wem hilft eine Mietwohnung, wenn sie 12,90 Euro kalt pro Quadratmeter kostet? Lässt sich die Stadt von Investoren über den Tisch ziehen? Und was entscheiden Bürger beim neuen Stadtteil? Das bewegt Altonaer in diesen Tagen. Anfang Februar tagte das Bürgerforum, wo Anwohner bei der Planung der Neuen Mitte Altona mitreden konnten. 569 Forderungen, aufgestellt in anderthalb Jahren Beteiligung, haben Bürger abgeglichen mit dem „Masterplan“-Entwurf der Stadt. Ergebnis: „Die Behörde hat Wichtiges außen vor gelassen!“ Fast einstimmig forderten die Anwesenden den Planungsstopp.

Der Senat plant einen „Drittel-Mix“ aus Eigentums-, geförderten und frei finanzierten Mietwohnungen. Das hört sich zwar so ähnlich an wie das, was Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) als Ziel ausgegeben hat: mindestens ein Drittel geförderte Wohnungen bei Neubau. Doch war da von Eigentumswohnungen nie die Rede. Der Drittel-Mix „entspricht in keiner Weise dem Bedarf der Bevölkerung“, schreiben Bürger unter der Überschrift „Neun Gründe für eine bessere Planung“. Mehr als 40 Prozent aller Haushalte Hamburgs sind Paragraf-5-Schein-berechtigt, „also aufgrund ihres geringen Einkommens auf geförderte Mietwohnungen angewiesen“.

Es geht um viel Geld – für die Stadt und für die Investoren. Mit Eigentumswohnungen lässt sich mehr verdienen als mit Mietwohnungen. Und allein dadurch, dass die Bürgerschaft das Gebiet von Brachland zu Bauland erklären wird, steigt der Wert der Grundstücke enorm. Doch was haben die Hamburger davon? Kritiker wie der Stadtplaner Mario Bloem fordern deshalb eine „städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“. Sie ist das schärfste Schwert des Baurechts und umstritten, weil sie sogar die Enteignung von Eigentümern bedeuten kann – mit dem Vorteil, dass die Stadt die Gewinne einstreicht und Herr des Verfahrens bleibt (siehe Interview unten).

Im schlechtesten Fall jedoch könnten jahrelange Rechtsstreitigkeiten drohen – für den Senat, angesichts hochgesteckter Wohnungsbauziele unter Druck, keine Alternative. Lieber will er Verträge mit den Grundstückseigentümern machen und so einen Teil der Gewinne abschöpfen. Doch in welchem Umfang? Bürger fordern, die Inhalte der Verhandlungen öffentlich zu machen – laut Behörde „aus rechtlichen Gründen“ unmöglich. Aber es sei geplant, „die Verträge vor Unterzeichnung öffentlich vorzustellen und zu diskutieren“.

Das Misstrauen ist berechtigt: Erst Mitte Dezember, nach mehr als einem Dutzend Bürgerforen und nur infolge hartnäckiger Anfragen, veröffentlichte die Stadt einen Vorvertrag, den der alte, schwarz-grüne Senat 2010 abgeschlossen hat. Darin sind pikante Details festgeschrieben: etwa dass der Beitrag der Grundeigentümer bei den Erschließungskosten „auf 30 Mio. Euro insgesamt begrenzt wird“. Bürger fragen sich, warum Hamburg nach den Erfahrungen mit der Elbphilharmonie dieses Risiko übernehmen will.

Text: Ulrich Jonas

„Erst denken, dann planen“

Der Stadtplaner Mario Bloem hat mehrere Modelle entwickelt, wie die Mitte Altona besser geplant werden könnte. Mit ihm sprach Ulrich Jonas.

Foto: Maurice Kohl

Hinz&Kunzt: Der Senat will in Altona schnell Wohnungen bauen lassen. Was haben Sie dagegen?
Mario Bloem: Ich habe nichts gegen schnellen Wohnungsbau – nur gegen schlechten. Die Neubebauung der Bahnflächen ist ein Jahrhundertprojekt.

H&K: Was läuft schief?
Bloem: Die Bürger hätten viel früher beteiligt werden müssen. Dann erst hätte es den Architektenwettbewerb geben dürfen – und nicht umgekehrt, sodass die Bürger nichts mehr ändern können. Und normalerweise untersucht man am Anfang die Rahmenbedingungen: Was gibt es für Altlasten? Wie sieht es mit dem Lärm aus? Wie ist das Umfeld? Dann erst entwickelt man Ideen, gemeinsam mit den Bürgern. Doch die Ergebnisse der sogenannten vorbereitenden Untersuchungen sind bis heute nicht veröffentlicht worden.

H&K: Sie befürworten ein Mitwirkungsmodell mit vielen kleineren Investoren. Dafür müsste die Stadt die Flächen erst mal kaufen …
Bloem: Das wäre das Idealmodell, weil die Stadt dann Bedingungen an die einzelnen Grundstücke knüpfen könnte, und zwar für lange Zeit und nicht nur für 15 Jahre.

H&K:
Im Masterplan-Entwurf des Senats steht, dass ein Drittel der neuen Wohnungen geförderte sein sollen und ein weiteres Drittel frei finanzierte, die bevorzugt von Wohnungsbaugenossenschaften errichtet werden sollen. Warum fürchten Sie dennoch hohe Mieten?
Bloem: Weil der Bodenpreis, der durch die Entwicklung des Gebiets erheblich steigt, in die Baukosten und damit auch in die Mieten einfließen wird. Zudem stellt sich die Frage: Wie kommen die Baugenossenschaften an die Grundstücke? Warum sollten private Grundeigentümer auf ihre Rendite verzichten und Grundstücke abgeben, die sie selbst verwerten können?

H&K: Das könnte die Stadt in den Verträgen mit den Grundstückseigentümern festlegen.
Bloem: Dann müsste in dem Vertrag aber auch festgeschrieben werden, zu welchem Preis die Grundeigentümer die Grundstücke abgeben. Es gibt Baugemeinschaften, die sich schon um Grundstücke bemühen. Denen ist bislang kein Preis genannt worden.

H&K:
Die Bürgergremien fordern nun einen Planungsstopp.
Bloem: Eher eine bessere Planung und bis dahin keine bindenden Entscheidungen, die das, was noch möglich ist, unmöglich machen. Die Kritikpunkte müssen ausgeräumt werden. Das Lärmproblem etwa muss geklärt sein, bevor man die nächsten Schritte macht. Zu einer guten Planung gehört, dass die Fragen der Bürger beantwortet werden.

Mario Bloems Analyse im Internet: www.youtube.com („Wer baut die Neue Mitte Altona?“)

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