Mütter hinter Gittern

Richter kritisiert harten Kurs im Strafvollzug

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezember 220)

Hochschwangere kommen wegen kleiner Delikte ins Gefängnis – und müssen während der Haft entbinden. Junge Mütter, die Geldstrafen nicht bezahlt haben, werden von ihren Babys getrennt und eingesperrt. Horst Becker, Vorsitzender Richter am Landgericht und ehemaliger Leiter der Gnadenabteilung, hält diese neue Praxis in Hamburg für unangemessen und herzlos.

Marianne K.* hatte sich gefreut auf ihr Baby. Trotz allem. Denn die junge Frau ist drogenabhängig. Sie wird substituiert, kann aber noch nicht ohne eine Zusatzdroge leben. Aber sie hat Unterstützung: vom Jugendamt und von IGLU, die sich um drogenabhängige Mütter und ihre Kinder kümmern. Für die Zeit nach der Geburt war alles geplant. Das Baby sollte in einem Kinderschutzhaus leben, Marianne in der Nähe. Sie wollte es immer besuchen, bis sie soweit wäre, sich alleine um ihr Kind zu kümmern.

Auch Bea W.* ist drogenabhängig und wird substituiert. Auch sie entband im Oktober. IGLU und das Jugendamt halten sie für so stabil, dass sie – betreut – mit ihrem Baby zusammenleben kann.

Die Kinder kamen – wie häufig bei drogenabhängigen Müttern – zu früh auf die Welt und litten unter Entzugserscheinungen. Im Kinderkrankenhaus Altona, das spezialisiert ist auf diese Symptome, mussten sie stationär behandelt werden. Die Mütter besuchten sie. Eine Phase, die für die Mutter-Kind- Bindung entscheidend ist.

Noch in dieser Zeit wurden beide Frauen bei einer Personenkontrolle festgenommen. Gegen beide lag ein Haftbefehl vor – weil sie Geldstrafen nicht bezahlt hatten. Nicht bezahlen konnten. Obwohl sie frisch entbunden hatten und obwohl ihre Babys noch im Krankenhaus waren, wurden sie im Oktober – nur wenige Tage nacheinander – ins Untersuchungsgefängnis gebracht.

Inzwischen sind beide Frauen in den Frauenknast Hahnöfersand überstellt worden. Noch im UG stellten sie ein Gnadengesuch, die erst Ende November positiv entschieden wurden.

„Ich kann mich nicht entsinnen, dass eine Frau, deren Baby bei uns stationär behandelt wurde, einfach verhaftet worden wäre“, sagt Dr. Michael Bentfeld vom Kinderkrankenhaus Altona. Schließlich sei man doch dabei gewesen, gemeinsam Perspektiven zu entwickeln, auch wenn die Situation an sich schon schwierig sei.

Fast zeitgleich wurden drei hochschwangere Frauen in Untersuchungshaft genommen. Während ihrer Haftzeit entbanden sie und saßen dann mit ihren Babys im Knast. Eine von ihnen war auf frischer Tat beim Dealen erwischt worden, die andere hatte wiederholt Diebstähle begangen. Eine konnte ebenfalls ihre Geldstrafe nicht bezahlen, wie Kai Nitschke, Sprecher der Justizbehörde, bestätigte. Weil sie keinen festen Wohnsitz hatten, bestand nach Meinung des Haftrichters Fluchtgefahr.

Regelrecht „gefährlich“ findet IGLU-Mitarbeiterin Birgit Meyer die Situation der Frauen, die während ihrer Untersuchungshaftzeit entbunden haben und ihre Babys mit in die Zelle nehmen durften. „Natürlich ist das besser, als von den Babys getrennt zu werden“, sagt sie. „Aber die Behandlung von Säuglingen, die einen Entzug durchmachen, erfordert ganz besondere Bedingungen.“

Immerhin so besonders, dass es in Hamburg nur drei Kliniken gibt, die auf diese Behandlung spezialisiert sind, bestätigt Dr. Bentfeld. „Die Babys sind sehr empfindlich. Sie brauchen aufwändige medikamentöse und pflegerische Betreuung. Das kostet sehr viel Kraft“, so der Arzt. „Bis hin zu den Lichtverhältnissen muss alles stimmen – und sie brauchen viel Ruhe.“

„Ich erwarte ja gar nicht, dass den Frauen ihre Strafe erlassen wird, aber man könnte sie doch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben“, so IGLU-Mitarbeiterin Birgit Meyer.

Natürlich gab’s auch früher schon werdende Mütter im Knast. Nur ging man damals anders mit dem Problem um. „Selbstverständlich haben wir werdende Mütter vor der Entbindung entlassen, und selbstverständlich mussten werdende Mütter oder Mütter mit Kleinstkindern nicht in den Knast“, sagt Horst Becker, ehemaliger Leiter der Gnadenabteilung und der Sozialen Dienste der Justiz. Die Gnadengesuche seien innerhalb von ein bis drei Tagen, manchmal noch am selben Tag entschieden worden. „Wir haben immer eine Lösung gefunden, die sich am Wohl des Kindes orientiert hat, und zwar immer im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft und der Strafanstalt.“ In Hamburg habe die Gnadenabteilung übrigens nicht anders gehandelt als in anderen Bundesländern.

Worauf die Richter allerdings penibel achteten: „Dass Mutter und Kind nach der Strafunterbrechung oder der einstweiligen Einstellung der Strafvollstreckung intensiv sozialpädagogisch betreut werden.“ Wie heute auch habe es sich „meist um randständige Frauen“ gehandelt, die ihre Geldstrafen nicht zahlen konnten oder eine kurze Freiheitsstrafe wegen Bagatell- oder Beschaffungskriminalität verbüßen mussten.

Seine Entscheidungen habe er nie bereut. „Ich habe nie gehört, dass wir eine Fehlentscheidung getroffen haben“, sagt der 53-Jährige. Der jetzige Senat reagiere selbst in diesen Fällen mit gnadenloser Härte. „Dass jetzt bereits Kleinkinder zu Opfern der Strafvollstreckung werden, zeigt, wie wenig Herz der Senat für Kinder hat.“

Der jetzige Vorsitzende der Großen Strafkammer 7 ist froh, dass er im April die Leitung der Gnadenabteilung niedergelegt hat. „Ich konnte das alles nicht mehr mitmachen.“ Gnade, so seine Meinung, „gibt es in Hamburg nur noch auf dem Papier“.

Birgit Müller

* Name geändert

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