Dr. Andreas Krüger will eine Villa Kunterbunt bauen für Kinder, denen Schlimmes passiert ist. Dort sollen ihre Wunden in Ruhe heilen. Wie man traumatisierten Kindern helfen kann, ist auch Thema bei einem Forum zu Jugendgewalt.
(aus Hinz&Kunzt 224/Oktober 2011)
Kann sein, dass Sarah einen Autounfall mitansehen musste, kann sein, dass Peter zu Hause misshandelt wurde, kann sein, dass Jessica sich ritzt. Offensichtlich ist: „Die Seele von Sarah, Peter und Jessica hat voll einen draufbekommen“, sagt Dr. Andreas Krüger. Kann sein, dass sich Sarah, Peter und Jessica gar nicht daran erinnern, was sie erlebt haben. Nur: Etwas ist anders geworden. Sie haben Schlafstörungen, rasten plötzlich aus, sind hypernervös und gereizt, ecken überall an oder sind völlig verängstigt.
Irgendwann landen sie dann womöglich in der Kinderpsychiatrie, wo sie nach Meinung von Andreas Krüger eigentlich nur in einer akuten Krise hingehören. Krankenhäuser sind nicht unbedingt etwas Schlechtes, findet der 46-jährige Therapeut. Schließlich hat er selbst lange genug in einigen gearbeitet. In Ochsenzoll etwa oder in Eppendorf, wo er eine Trauma-Ambulanz aufgebaut hat.
Experten wissen aber: Wenn die Seele krank ist, dann braucht sie oft lange Zeit, bis sie wieder gesund ist, und das geht dann auch nicht mit Tabletten, sondern man braucht viel mehr. Aber: Es gibt einfach zu wenig Hilfe für traumatisierte Kinder außerhalb der normalen Krankenhäuser. Sinnvoller wäre daher, so Andreas Krüger, wenn man ein eigenes Haus hätte. Eine Art Villa Kunterbunt, in der man nicht nur Therapie macht, sondern auch andere Dinge, die Spaß machen wie Malen, Musik oder Theater-Spielen. Das ist „Balsam für die Seele“, eine „gute Medizin“, sagt der Internist.
Wie wichtig das ist, wurde Krüger spätestens im Wilhelmstift klar, wo viele traumatisierte Kinder untergebracht sind. Dort hat er ein 15-jähriges Mädchen betreut, dessen Mutter nach der Geburt Depressionen bekam und dem Kind nicht die nötige Liebe geben konnte. Das kleine Mädchen wurde von einer Tagesmutter zur anderen gereicht. „Sie hat nicht viel Gutes erlebt, damals“, sagt Krüger. Jetzt litt das Mädchen selbst an schweren Depressionen. „Es war ein sprachloses Leid, es gab nichts Greifbares, und sie hat sich geritzt. Das Mädchen hat sich ganze Landschaften verpasst“, sagt er. Mit Gesprächen kam er an das Mädchen nicht heran. Einen Durchbruch hatte der Therapeut, als die Rede mal aufs Schlagzeugspielen kam. Da Andreas Krüger selbst gern Schlagzeug spielt, besorgte er kurzerhand ein Schlagzeug und trommelte in den Sitzungen mit ihr. Dreierlei sei passiert, sagt der Therapeut: Das Mädchen öffnete sich und erzählte nach und nach mehr von sich, und es fand im Schlagzeugspielen einen eigenen Weg, um ihren Schmerz und ihre Wut auszudrücken – und sie hatte jetzt ein Hobby, in dem sie aufging.
Natürlich läuft in der Therapie nicht alles spielerisch. Andreas Krüger, der selbst vier Kinder hat, will, dass die Kinder wissen, was überhaupt ein Trauma ist, welche Symptome sie haben und wie sie sie überwinden können. Kinder können und müssen, davon ist er überzeugt, in die Lage versetzt werden, bei ihrer Heilung aktiv mitzuwirken. „Sie müssen Experten für ihre eigene Not werden“, sagt er. Vor Kurzem hat er ein Selbsthilfebuch für Jugendliche geschrieben, das Powerbook (www.elbekruegerverlag.de), ein richtiges Arbeitsbuch, in dem erklärt wird, wie man merkt, dass die Seele schwer verletzt ist, wie das Gehirn funktioniert und wie es reagiert, wenn der Mensch etwas Schreckliches erlebt – und wie man sich selbst wieder am eigenen Schopf aus der Krise ziehen kann. Darin erklärt er beispielsweise, dass das Gehirn eine Art Notfallprogramm startet, wenn die Seele schwer verletzt wird, und dann reagiert es immer so, als wenn Gefahr bestünde, obwohl die Gefahr längst vorbei ist. Ein Beispiel: Sinnvoll ist ja zu fliehen, wenn man verfolgt wird. Da mobilisieren Körper, Hirn und Seele alle Kräfte. Aber wenn man nicht mehr verfolgt wird, muss man auch wieder langsam gehen und sich erholen. Wer aber traumatisiert wird, der denkt, er muss weiter und weiterfliehen – und das hält ja niemand aus.
Selbst mit kleinen Kindern versucht er, über das Erlebte so zu sprechen. Neulich hatte er einen zweijährigen Patienten. Dessen Vertrauen zu seinen Eltern war schwer angeschlagen und er schrie sich nur noch in den Schlaf. Seine Eltern hatten ihn festgehalten, als er eine schmerzhafte Spritze bekam. Für den kleinen Lorenz war die Welt zusammengebrochen, als seine Eltern ihn nicht beschützt haben, als der Arzt ihm wehtat – im Gegenteil, sie hatten ihm noch Hilfestellung geleistet. Andreas Krüger erklärte dem Kleinen an einem russischen Steckpüppchen, was da passiert: dass der Lorenz ja eigentlich ein großer Junge ist, aber dass der kleine Lorenz innen drin immer wieder Angst hat, obwohl es gar keine Spritze mehr gibt. Verrückt, könnte man als Erwachsener da denken, der kann doch mit einem so kleinen Kerlchen nicht so reden. Aber von wegen! Nach ein paar kindgerechten Sitzungen und Gesprächen dieser Art hat der Kleine sich beruhigt und inzwischen schläft er auch wieder durch.
Text: Birgit Müller
Fotos: Cornelius M. Braun
Mehr Infos
Dr. Andreas Krüger hat den Verein Ankerland gegründet. Er will das bundesweit erste integrative Beratungs- und Betreuungszentrum für psychisch traumatisierte Kinder und Jugendliche einrichten. Im Rahmen der Ankerland Trauma Tage 2011 können sich Betroffene, Fachpublikum und Interessierte über Gewaltprävention, Traumatisierung und Traumatherapie von Kindern und Jugendlichen informieren. Termin: Donnerstag, 20.10. im Museum für Völkerkunde. Beginn: 11.30 Uhr. Abends: Spendengala-Dinner in der Elbmeile XIII, Große Elbstraße 212. Eintritt gegen Spende von mindestens 150 Euro. Anmeldung unter info@ankerland.org