Ob melancholische Musik, witzige Romane oder absurde Weblogs – was Sven Regener macht, wird zum Erfolg. Mit Hinz&Kunzt hat er über schräge Dialoge und neurotische Typen gesprochen – und erklärt, warum traurige Lieder manchmal glücklich machen.
(aus Hinz&Kunzt 221/Juli 2011)
„Wollen wir uns nicht duzen?“ Von Starallüren keine Spur, als wir Sven Regener in der Altonaer „Fabrik“ treffen. Zum Du bekommen wir einen Kaffee angeboten, Regener selbst trinkt Tee. Der 50-Jährige, wie immer im schwarzen Polohemd und mit dicker Hornbrille, ist bestens aufgelegt. Lakonisch kommentiert er den kleinen Backstage-Raum, auf dessen Wänden sich Hunderte gelangweilter Musiker verewigt haben.
„An Rock ’n’ Rolligkeit ist hier kein Mangel“, sagt Regener. „Aber ich sage euch: Wenn man länger auf Tour ist und immer auf so vollgeschmierte Wände guckt – das ist scheiße.“ Gerade ist Sven Regener wieder mal auf Tour, aber nicht mit seiner Band „Element of Crime“, sondern alleine. Er liest aus seinem neuen Buch „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“. Es vereint mehrere Weblogs, Internet-Tagebücher, die Regener zwischen 2005 und 2010 geschrieben hat.
Darin verarbeitet er den Tour-Alltag mit seiner Band oder einen Besuch auf der Frankfurter Buchmesse, vor allem aber streitet er sich mit Hamburg-Heiner: einem imaginären alten Freund, den Regener für seine Blogs erfunden hat. Zu Hamburg hat Regener eine besondere Beziehung – von 1981 bis 1982 hat der gebürtige Bremer hier studiert, bevor er zum Musikmachen nach Berlin ging. „Und dann war ich von 1997 bis 2000 noch mal hier“, sagt er. „Ich hatte hier meine Frau kennengelernt, und die hatte hier Arbeit. Bei mir als Musiker war’s ja nicht so wichtig, wo ich wohne.“ Zeit, mit dem Interview zu beginnen …
Hinz&Kunzt: Was ist für dich typisch an Hamburg?
Sven Regener: Hamburg ist kalt. Eine kalte Stadt. Berlin ist dagegen wie Amerika. Da kannst du hinkommen und gehörst dazu, da kann jeder sofort mitmachen. Niemand fragt dich: „Wo kommst du her? Wie lange wohnst du hier schon?“ Das interessiert keine Sau. Das ist eine perfekte Stadt, um was auf die Beine zu stellen. Und Hamburg macht’s den Leuten schwerer. Ich hab das Leben hier nie richtig verstanden. Ich hab mir an Hamburg zwei Mal die Zähne ausgebissen.
H&K: Berlin und Hamburg sind ja beides Städte, die von sich sehr überzeugt sind …
Regener: Ach, bei den Berlinern hat das nichts weiter zu bedeuten. Denen ist auch egal, ob man Berlin gut findet oder nicht. im Grunde haben die Berliner nicht diese Art von Heimatgefühl. Das ist in Hamburg anders. Aber Hamburg ist auch eine faszinierende Stadt, weil sie eben so anders ist, weil sie was ganz Eigenes, Seltsames hat. Auch dieses unübersichtliche, dieses völlig Kreuz- und Querige. Man verfährt sich ja auch dauernd.
H&K: Wie kam es dazu, dass Hamburg-Heiner aus Hamburg anrief ?
Regener: Das war Zufall. Es gibt ja nur drei Städte, von denen ich wirklich was verstehe: Berlin, Bremen und Hamburg. Ich habe damals diesen ersten Blog geschrieben und schon am dritten Tag kei- ne Lust mehr gehabt. Weil ich da so mit mir selber diskutierte, das kam mir geschwätzig und eitel vor. Und dann habe ich mir am dritten Tag gedacht: Jetzt muss mal jemand anrufen, damit in den Blog ein bisschen Zug reinkommt. Und dann hab ich gedacht, dann gibt’s halt einen Hamburg-Heiner, vielleicht weil man noch einen in Hannover und einen in Kassel kennt. Und erst nach und nach hat er an Profil gewonnen. Dass der zum Beispiel mit mir studiert hat und sogar Hamburg mit Nachnamen heißt, das hat sich alles erst mit der Zeit ergeben.
H&K: Was ist dieser Hamburg-Heiner eigentlich für ein Typ?
Regener: Eine Flitzpiepe, sagen wir mal. Ein Nervkopp, ’ne Nervtüte. Aber sehr sympathisch und ein großer Streiter vor dem Herrn. Der ist erst nach Veddel, dann weiter nach Wilhelmsburg gezogen. Immer auf der Suche nach dem kommenden Viertel in Hamburg. Ein Freak, der groß denkt, in jeder hinsicht. Das sind ja immer interessante leute, mit denen macht es auch Spaß, sich zu streiten.
H&K: Bei deinen Büchern hat man ja sowieso den Eindruck, dass du eine Vorliebe für schräge Figuren hast. Woher kommt das?
Regener: Tja, interessante Leute sind halt interessanter als uninteressante Leute. und es gibt ja auch Leute, die auf den ersten Blick langweilig wirken, und wo man dann feststellt, dass die irgendwie doch Freaks sind. Auch bei den langweiligsten Typen gibt’s irgendwas zu entdecken, und die sind natürlich tolle Figuren in der Literatur.
H&K: Du bist ja nun nicht nur Autor, sondern auch Musiker. Ist Bücherschreiben und Songsschreiben eigentlich etwas völlig Unterschiedliches?
Regener: Das sind schon zwei sehr verschiedene Dinge. Die Songs mache ich ja mit der Gruppe Element of Crime, und da bin ich auch nicht der Chef. Ich schreibe die Texte, so wie der Schlag- zeuger trommelt. Aber die Musik machen wir zusammen, die machen wir immer zuerst. Das heißt, Songtexte mache ich zu einer existierenden Musik, wo ich auch schon eine genau festgelegte Gesangsmelodie habe.
H&K: Kann man denn gleichzeitig an einem Buch arbeiten und auf Tour gehen?
Regener: Auf Tournee gehen mit der Band: Ja. Musik spielen kann man immer. Das Problem besteht eher darin, gleichzeitig Songtexte zu schreiben und an einem Buch zu arbeiten. Das ist schwierig, weilich sehr viel im Kopf arbeite. Es ist ja nicht so, dass ich jeden Tag drei Stunden oder fünf Stunden am Schreibtisch sitze und irgendwas schreibe. Sondern es ist so, dass ich zwei Wochen lang darüber nachdenke, was ich im nächsten Kapitel eines Buches schreiben will. Und dann setze ich mich hin und schreibe das auf, in vielleicht drei oder vier Tagen.
Regener: „Ich mache mr nie Notizen“
H&K: So richtig wie im Rausch?
Regener: Rausch kann man das nicht gerade nennen, drei Tage sind ja auch eine lange Zeit. Aber man hat zumindest zwei, drei Wochen drüber nachgedacht, alles nur im Kopf. Ich mache mir nie Notizen. Wenn Sachen wirklich gut sind, dann behält man sie im Kopf. Und so ist es mit den Songtexten auch: Ich trage so eine Melodie teilweise wochenlang mit mir rum. Ich kann aber nicht gleichzeitig den Entwurf eines neuen Kapitels mit mir rumtragen und noch die Melodie, zu der ich gerade einen Text suche.
H&K: Es ist nicht so, dass dir eine Idee in den Kopf kommt und du denkst: Das wäre was für einen Liedtext?
Regener: Ich hab sicher auch mal tolle Einfälle, aber wenn ich gerade keine Melodie habe, dann wird daraus nichts. Die Leute denken immer, man schreibt einen Songtext, weil man an dem Tag so und so drauf ist. Aber das ergibt ja keinen Sinn. Man schreibt Songtexte über Dinge, die man erlebt hat oder die man mal gehört hat – aus den letzten 30 Jahren! Ich leb seit 50 Jahren, es ist ganz viel da, in der Erinnerung und in der Vorstellung und in der Fantasie. Das Entscheidende besteht darin, welches von den zigtausenden von Dingen man nimmt, die man im Kopf hat.
H&K: Kommt es auf diese Weise zu Liedern über so unglamouröse Orte wie Delmenhorst?
Regener: Warum soll ich in meinen Songs glamouröse Welten erfinden? Wir machen ja Rock ’n’ Roll, da geht es halt um die Art von Leben, die wir leben, und wie man daraus etwas Buntes und Lustiges machen kann. Wenn man ein Lied über Delmenhorst macht, dann verändert das Delmenhorst. Delmenhorst ist danach für einen selbst nie wieder das, was es vorher war. Sondern plötzlich ist Delmenhorst kunstfähig. Wenn sich etwas widerspiegelt in der Kunst, ist es plötzlich viel lustiger, als es vorher war.
H&K: Ist das der Grund dafür, dass Songs über Liebeskummer glücklich machen?
Regener: Ja natürlich, klar. Weil man auf diese Weise eine Distanz zu seinen Gefühlen und zu diesen Situationen gewinnt. Kunst veredelt die Dinge, auch die traurigen, und darum kann ein trau- riges Lied eben auch schön sein und glücklich machen. Und das geht so auch nur in der Kunst. Im richtigen Leben sind traurige Sachen einfach nur traurig. Also: Macht das nicht zu hause!
H&K: Du hast dich schon aufgeregt, als du ge-fragt wurdest, ob du für deine Herr-Lehmann-Romane in Kneipen recherchiert hast…
Regener: Na ja, recherchiert … Das ist lus tig, weil ich natürlich sehr viel in Kneipen „recherchiert“ habe. Ich hab mein ganzes Leben damit zugebracht, in Kneipen zu „recherchieren“. Ich hab eine schwache Leber deswegen.
H&K: Aber doch nicht mit dem Ziel, ein Buch zu schreiben, oder?
Regener: Nein, eben, das ist der Punkt. Wenn ich damit anfangen müsste, hätte ich schon einen Fehler gemacht. Bei der Art von Romanen, wie ich sie schreibe, oder auch bei so Blogs mit Hamburg- Heiner, kommt’s darauf nicht an. In der Kunst reicht auch ein taktisches Verhältnis zur Wirklichkeit und zur Wahrheit.
H&K: Bist du in Wirklichkeit also gar nicht so neurotisch, wie du in deinen Blogs wirkst?
Regener: ich glaube, jeder Mensch hat neurotische Momente und Seiten in seinem Wesen. Die Frage ist immer, wie weit sich das in den Vordergrund schiebt.
H&K: Täuscht der Eindruck, dass du nur ungern über dich selbst sprichst?
Regener: Wieso sollte ich das tun? Mein Privatleben heißt ja deshalb so, weil es mein Privatleben ist. in dem Moment, wo ich damit anfange das öffentlich zu machen, bin ich Prominenter. In dieser hinsicht sind viele Schriftsteller freigie biger, die lassen sich auch bei sich zu hause fotografieren. Das würde ich nie-mals machen. kunst mit Ganzkörpereinsatz finde ich scheiße.
Text: Hanning Voigts
Foto: Hannah Schuh