Der Kiez ohne die Esso-Tanke? Kaum vorstellbar, doch womöglich bald Realität. Ein Investor plant nicht nur die Kult-Tanke, sondern 110 Wohnungen, Läden und Clubs rund um den Spielbudenplatz abzureißen. Mieter und Anwohner organisieren sich in der „Initiative Esso-Häuser“. Sie wollen ihren Lebensraum retten und setzen, typisch St. Pauli, auf kreative Mittel.
Mitte Juni präsentierte die Inititative ein eigenes Gutachten. Tenor: Die Gebäude aus den 60er-Jahren sind zwar altersgemäß nicht mehr im besten Zustand, von Einsturzgefährdung könne aber keine Rede sein. Eine Sanierung sei möglich.
Das aber sehen die Pläne des Immobilienunternehmens Bayerische Hausbau, die das Areal zwischen Kastanienallee, Taubenstraße und Spielbudenplatz 2007 gekauft hat, nicht vor. Laut ihrem Gutachten ist ein Abriss „unumgänglich“, die Gebäude allesamt „marode“. An Stelle der alten Häuser sollen neue Miet- und Eigentumswohnungen entstehen.
Dabei wird eine so genannte Drittellösung angestrebt, heißt: Ein Drittel des dann auf rund 15.000 qm vergrößerten Areals (heute: 6.190 qm) soll frei vermietet werden, ein Drittel wird Eigentum und ein Drittel soll für Sozialwohnungen reserviert sein. Zudem setzen die Investoren auf „St. Pauli-affines Gewerbe, das bedeutet eine bunte Mischung aus Kultur und Gastronomie.“ Auf einer Internet-Seite informieren sie über ihre Pläne.
Andy Grote, SPD-Fachsprecher für Stadtentwicklung sagt, die Regierung werde dem Abriss nur unter der Bedingung zustimmen, dass den Bewohner während der Sanierung Ersatzwohnungen angeboten würden und ein Rückkehrrecht garantiert sei. „Das hat uns der Investor zugesichert“, sagt Bezirksamtssprecher Lars Schmidt-von Koss. „Es wird niemand vertrieben.“ Zudem würden die Wohnungen „zu moderaten, fast identischen Preisen“ angeboten. Derzeit liegen die Warmmieten zwischen 4 Euro und 12,50 Euro pro qm. „Die Mieten sind war günstig, aber die Nebenkosten wegen der schlechten Dämmung horrend“, so Schmidt-von Koss.
Doch die Bewohner fürchten um den Charme der alten, gewachsenen Strukturen. Viele wohnen seit Jahrzehnten hier, der älteste Mieter ist 94 Jahre alt. Aber auch junge Leute und Künstler wie Ted Gaier von den Goldenen Zitronen sowie Geringverdiener wollen die Häuser erhalten.
„Wir sind St. Pauli, wir sind kein Objekt“, gibt sich die Initiative kämpferisch. „Wir wollen, dass unsere Häuser Instand gesetzt werden und wir nicht dafür zahlen, dass dies über Jahre nicht geschehen ist. Wir wollen auch, dass St. Pauli bleibt, was es ist, ein Ort mit ausgeprägten sozialen Netzwerken, unterschiedlichsten Menschen, Nischen für jene, die den gesellschaftlichen Nischen nicht entsprechen können oder wollen.” Julia Priani von der Initiative ESSO-Häuser fordert „ein sofortiges Moratorium“ für die Häuser und will einen Runden Tisch einberufen mit Investoren, Politik, Fachleuten, Bewohnern und Nachbarn. „Wir fordern die Beteiligung aller an dieser wichtigen Entscheidung.“
Gegen die Abrisspläne geht die Initiative auch mit einer kreativen Aktion an die Öffentlichkeit: Seit Juni läuft eine Postkartenkampagne mit Bildern von Bewohnern der Esso-Häuser, die in ihrem humorvollen Stil an die kultige „Astra“-Werbung erinnert.
Unter dem Motto „Hie samma beinand hie bleibma“ sind auf den Karten sechs verschiedene Motive mit Bewohnern zu sehen. Die Karten sind in rund 60 Läden und Clubs auf St. Pauli erhältlich.
Text: Simone Deckner
Fotos: Initiative Esso-Häuser