Bezirksamtsleiter Markus Schreiber will keine Prostituierten mehr in St. Georg haben. Die Beratungsstelle Ragazza schlägt Alarm. Dabei weiß die Polizei, die die Verdrängung durchsetzen müsste, von nichts.
„Die wollen hier alles schick machen.“ Gudrun Greb, Geschäftsführerin des Vereins Ragazza für drogensüchtige Frauen, die der Prostitution nachgehen, sorgt sich um ihre Klientinnen in St. Georg. Der Grund: Das Bezirksamt Mitte will Prostitution – und damit Prostituierte – aus St. Georg verdrängen. So verkündet von Bezirksamtsleiter Markus Schreiber.
Bezirksamts-Sprecher Lars Schmidt-von Koss sagt, Anlass für die Ankündigung seines Chefs seien Anwohnerbeschwerden gewesen: „Immer mehr meldeten sich bei uns und sagten, sie fühlten sich nicht sicher.“ Prostituierte und ihre Freier seien „zunehmend aggressiver“. Deshalb wolle man die Ausübung des Gewerbes „verlagern“. Amtsleiter Schreiber hat auch schon eine Idee, wohin: Er bietet einen Straßenzug in Rothenburgsort als Ausweich-Ort an. Das Angebot, so Sprecher Schmidt-von Koss, sei so zu verstehen, dass Prostitution von dort „nicht weiter verdrängt“ würde.
Gudrun Greb vom Verein Ragazza hält das „schon von der Idee her für fatal“: Wir verlegen die Szene vom Hell- ins Dunkelfeld. Trotz der Öffentlichkeit und der Lage hier in St. Georg passieren täglich Übergriffe auf Frauen. Im abgelegenen Industriegebiet gibt es niemanden, der ein Auge auf das Geschehen hat. Was dort auf die Frauen zukommt, möchte ich mir gar nicht vorstellen.“
Prostitution ist in Hamburg grundsätzlich nicht verboten, sondern nur in bestimmten sogenannten Sperrgebieten. 1980 erklärte der Hamburger Senat sechs Stadtteile zu solchen: Altstadt, Neustadt, Altona-Altstadt und -Nord und St. Pauli (tagsüber) und St. Georg. Das bedeutet: In diesen Stadtteilen ist Straßenprostitution gar nicht erlaubt – oder wie in St. Pauli zu bestimmten Uhrzeiten nicht. Und zwar schon seit mehr als 30 Jahren.
Neu ist, dass Bezirksamtsleiter Schreiber das Verbot in St. Georg jetzt konsequenter als bisher durchsetzen will. Dort wird zur Zeit der zentrale Hansaplatz aufwendig saniert. Im Juni soll die Einweihung des neuen Hotspots mit Außengastronomie gefeiert werden. „Die Definition, wer dann hier noch gewollt ist, ist klar. Bestimmt keine, die Alkohol trinken, Drogen nehmen oder anschaffen gehen“, sagt Gudrun Greb.
Was ist dran an Schreibers Verdrängungspläne? Sprecher Schmidt-von Koss: „Wir haben als Bezirksamt gar keine Möglichkeit, das durchzusetzen.“ Das sei Aufgabe der Polizei. Amtschef Schreiber meint: „Man muss nur den nötigen polizeilichen Druck ausüben, dann verlagert sich auch die Prostitution.“
Polizisten können ein Bußgeld in Höhe von mindestens 200 Euro und einen Platzverweis verhängen gegen jeden und jede, der oder die der Prostitution nachgeht. Für St. Georg zuständig ist das Polizeikommissariat 11. Dessen Leiter Ulf Schröder weiß nichts vom Vorhaben, die „polizeiliche Präsenz“ in St. Georg zu erhöhen. Diese sei angemessen hoch. Eine „komplette Vertreibung der Prostitution“ aus St. Georg hält Schröder auch gar für realistisch, „ohne andere wichtige Aufgaben länger zu vernachlässigen“. Konkrete Maßnahmen folgen der Ankündigung des Bezirksamtschefs also bisher nicht.
Gudrun Greb vom Verein Ragazza sorgt sich trotzdem: „Durch die teure Umgestaltung des Hansaplatzes ist das Interesse noch mehr gestiegen, alles Unliebsame zu verbannen.“
Prostitution, sagt Greb, werde es im Viertel in Bahnhofsnähe „so oder so weiter geben“. Stärkere Kontrollen im Sperrgebiet hätten lediglich den Effekt, „dass die Szene gefährlicher und brutaler“ würde. „ Freier üben bei den Preisverhandlungen und wenn es um ungeschützten Sex geht jetzt schon Druck aus. Die sagen dann: Schnell, da kommt die Polizei. Und dann müssen die Frauen zustimmen.“ Zudem sei Grebs eigene Arbeit mit den und für die Frauen auf dem Straßenstrich gefährdet: „Wir betreiben Sozial- und Aufklärungsarbeit und verteilen entsprechende Arbeitsmaterialien. Das können wir künftig nicht mehr leisten.“ Ließen die Frauen sich mit den Helferinnen sehen, liefen sie Gefahr, allein dadurch der Prostitution überführt zu werden.
Greb appelliert an den Zusammenhalt der Bewohner von St. Georg: „Wir haben hier gemeinsam ein tolerantes, lebenswertes St. Georg aufgebaut.“ Durch Aufwertung, auch durch den Umbau des Hansaplatzes, gerieten nun nicht nur Prostituierte, sondern auch Alteingesessene und Anwohner mit Migrationshintergrund in Bedrängnis. „Die sagen zu uns: ,Wenn ihr nach Rothenburgsort geschickt werdet, müssen wir mit, dann können wir uns bald nicht mehr leisten, hier zu wohnen.‘“
Text und Fotos: Beatrice Blank