In Hamburg kümmern sich insgesamt vier rollende Praxen um unversicherte und obdachlose Menschen – größtenteils ehrenamtlich organisiert. Die Patient:innen verelenden immer mehr, sagt Lutz Gröchtemeier vom Krankenmobil der Caritas.
Hinz&Kunzt: Mit welchen Erkrankungen kommen die Menschen zum Krankenmobil?
Lutz Gröchtemeier: Wundversorgung ist bei uns ein Schwerpunkt. Erkältungskrankheiten, die schnell mal in einer Lungenentzündung enden können. Internistisch sehen wir auch alles: von erhöhtem Blutdruck bis hin zu Bauchschmerzen. Erschreckend viele Menschen mit psychischen Problemen kommen zu uns. Aber wir behandeln im Schnitt 30 Patienten in eineinhalb Stunden bei jedem Tourstopp, da können wir uns nicht lange mit einer Person beschäftigen, leider. Wir verweisen dann auf unsere psychiatrische Sprechstunde in der Schwerpunktpraxis.
Man darf sich das Krankenmobil also nicht als rollenden OP-Saal vorstellen?
Nein, davon sind wir weit entfernt. Wir messen Blutdruck, Blutzucker und die Temperatur, können diagnostisch in Mund und Ohr gucken, aber darüber hinaus verweisen wir an die Schwerpunktpraxen oder im Notfall an ein Krankenhaus. Wir schicken keinen Patienten einfach weg, aber Krankentransporte dürfen wir aus rechtlichen Gründen nicht durchführen.
Hat die Verelendung in der Stadt zugenommen?
Ich bin erst seit sieben Monaten dabei, aber ich kann das schon bestätigen. Wir treffen Leute an, die sowohl hygienisch in einem ganz schlechten Zustand als auch sehr krank sind, und das nimmt zu. In diesem März haben wir 700 Behandlungen gehabt, so viele wie noch nie seit dem Start des Krankenmobils 1995. Über die erste Notfallversorgung hinaus können wir den Menschen nur wenig Angebote machen, alle Hilfsangebote sind voll. Das ist das eigentlich Frustrierende.
Es gibt zu wenig Orte, an denen sich kranke Obdachlose auskurieren können?
Wir haben unsere Krankenstube als stationäre Einrichtung mit 20 Betten, aber die ist fast immer voll. Schwierig wird es auch oft, wenn Leute aus dem Krankenhaus entlassen werden. In den Arztbriefen liest sich die Nachsorge einfach, aber das ist auf der Straße nicht umsetzbar. Das Bein hochlegen und entspannen – das ist für Obdachlose nicht drin.
Die Kolleg:innen vom Gesundheitsmobil beklagen, dass es ein Parallelsystem in der medizinischen Versorgung gibt. Ist das so?
Natürlich haben wir dieses Parallelsystem auch mit aufgebaut. Ohne die Ehrenamtlichen könnte ich meine Arbeit auch nicht machen. Theoretisch darf es uns alle nicht geben, aber wenn wir nicht da wären, was wäre dann? Wenn es Angebote wie das Gesundheitsmobil, das Arztmobil und andere ehrenamtliche Hilfen nicht gäbe, dann sähe es in Hamburg noch viel schlimmer aus. Wir nehmen den Krankenhäusern und Praxen viel Arbeit ab.
Obdachlose berichten, dass sie teilweise sogar trotz Arztbriefs von Krankenhäusern abgewiesen werden.
Ja, das sehen wir auch. Kürzlich hatten wir einen Fall, bei dem ein Sozialarbeiter acht Stunden mit dem Patienten in der Notaufnahme saß. Das ist leider häufig so. Auch bei Nachsorgeterminen, die ärztlich empfohlen werden, werden Patienten oft schlecht bis gar nicht beraten – zumal, wenn noch sprachliche Probleme dazukommen. Generell ist das Ergebnis, egal wie es zustande kommt, oft bescheiden.
Dabei hat jede:r einen Anspruch auf medizinische Notfallversorgung, auch ohne Krankenkassenkarte.
Ja, aber erschreckend viele Bürger und Bürgerinnen wissen das nicht. Ich bekomme häufig Anrufe: „Hier liegt jemand, was mache ich denn?“ Wenn ich dann sage „Rufen Sie einen Krankenwagen!“, reagieren viele verwundert. Aber für den Notfall ist es völlig egal, ob jemand krankenversichert ist oder nicht. Im Zweifel lieber einmal zu viel als einmal zu wenig den Notarzt rufen. Gerade jetzt bei den hohen Temperaturen.