Zusätzlichen Wohnraum für Obdachlose versprach die Stadt im Sommer 2005 – aber ist seitdem etwas passiert? Protokoll einer ernüchternden Recherche
(aus Hinz&Kunzt 158/April 2006)
Gute Nachrichten für alle Wohnungslosen gab es vergangenen Sommer: Die Vermittlung in Wohnungen sollte besser werden. Dank 600 zusätzlicher Wohnungen. Pro Jahr! Durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Sozialbehörde und Hamburger Wohnungsunternehmen, festgeschrieben per Vertrag. Neun Monate später stellt sich heraus: Die Vermittlung für Wohnungs- und Obdachlose ist zäher denn je. Frank Keil wollte wissen, warum.
Wo anfangen zu suchen? Ach, erst mal bei der Sozialbehörde nachfragen. Und schon sinkt die Zahl der versprochenen zusätzlichen Wohnungen: 540 sind zunächst angepeilt, berichtet Behördensprecherin Katja Havemeister; 600 sollen es mal werden. Na gut, aber wie viele dieser Wohnungen wurden denn im zweiten Halbjahr 2005 vergeben? Es müssten die Hälfte, also 270 Wohnungen sein, rechne ich. Aber die Behörde weiß nichts Genaueres. Ich bin einigermaßen perplex. Bei Vertragsabschluss war ausdrücklich eine Dokumentation über jene zusätzlichen Wohnungen vereinbart worden! So viel erfahre ich: Die neugegründeten Fachstellen für Wohnungsnotfälle haben insgesamt nur 187 Wohnungen vergeben – zur Verfügung gestellt von den am Pool beteiligten Wohnungsunternehmen, aber auch von anderen Unternehmen sowie privaten Vermietern. Wie viele Wohnungen sind denn nun zusätzlich, und was ist mit dem Versprechen, der Wohnungslosigkeit werde mit mehr verfügbarem Wohnraum entschieden begegnet?
Ich rufe Mario Spitzmüller an, Pressesprecher von SAGA/GWG. Er müsste doch was wissen. „Zusätzliche Wohnungen?“, echot es zurück. Er weiß nichts Genaues über den Vertrag, will sich aber schlau machen. Ruft bald zurück: 400 Wohnungen hätten sie gemäß Vertrag den Fachstellen gestellt. „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen“, sagt er. Aber wie passen diese 400 Wohnungen zu den nur 187 der Behörde bekannten? „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen“, wiederholt er.
Richtig gut gelaunt ist Mirja Carlsson vom Belegungsmanagement der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter: „Soll ich erzählen, wie das bei uns funktioniert?“ 15 Bewerber der Kategorie I seien im Oktober von der Behörde genannt worden. Die hätten sich nacheinander vorgestellt, und vier hätten nun eine Wohnung. Alles sei sehr unkompliziert gelaufen. Geht doch!
Aber – Kategorien? Ich erfahre, dass es deren drei gibt: Menschen, die schuldlos ihre Wohnung verloren haben, etwa durch Trennung oder Scheidung, sowie Aussiedler (Kategorie I). Dann Menschen, die infolge von Mietschulden wohnungslos geworden sind (Kategorie II). Und zuletzt die Menschen, bei denen vieles zusammenkommt: kein Job und Schulden und seit längerem keine Wohnung – wie bei vielen Hinz&Kunzt-Verkäufern (Kategorie III). Wohnungssuchende aus der Kategorie III sollen mindestens ein Jahr lang von einer sozialen Einrichtung betreut werden, damit der Vermieter sicher sein kann, dass er bei Problemen nicht alleingelassen wird. Dazu hat sich die Stadt vertraglich verpflichtet. Eine Kopie dieses Vertrages will man mir nicht zur Verfügung stellen. Der sei vertraulich. Ebenso, wer wie viele Wohnungen stellt. Zwölf Unternehmen seien mit im Boot.
Gespräche mit Vertretern anderer Wohnungsgesellschaften ergeben folgendes Bild: Mal sind es vier, mal sechs, mal drei Wohnungen, die vermittelt wurden. Aber nur an Ier- und IIer-Kandidaten. „IIIer, das sind die, wo wir sagen, so einfach geht das nicht“, erklärt Dirk Bolduan vom Altonaer Spar- und Bauverein. Die Genossenschaft will nur dann Obdachlose der IIIer-Kategorie aufnehmen, wenn endlich die versprochenen Sozialarbeiter eingestellt werden. Die mal schauen, ob alles in Ordnung ist. Auch abends. Die gebe es aber noch nicht! Da laufe noch eine Ausschreibung! Er macht eine Pause: „Nicht, dass ich Ihnen jetzt etwas verraten habe, was ich nicht verraten sollte.“
Ist ja interessant! Ich fahre zum Bezirksamt Mitte und treffe Heinz Beeken, Leiter der dortigen Fachstelle für Wohnungsnotfälle. Ohne Zögern benennt er den kritischen Punkt des Vertrages (den er befürwortet): Gut 50 Wohnungssuchende der Kategorien I und II hat seine Fachstelle seit November in Wohnungen vermitteln können. Aber sie konnten noch niemandem helfen, bei dem mehr im Argen liegt als nur Mietschulden. „Wir haben hier eine Liste mit gut 30 Leuten, teilweise aus dem Winternotprogramm, die man als IIIer einstufen könnte. Aber das hilft denen nicht weiter“, sagt er. Und die Ausschreibung für die künftigen Sozialarbeiter? Kennt er die? Ist die überhaupt schon rausgeschickt worden? Heinz Beeken zuckt mit den Achseln. Er höre mal dieses, mal jenes.
„Wir warten gespannt auf die Ausschreibung“, sagt Beate Behn von der Lawaetz-Stiftung, die unter anderem Wohnungslose betreut, „wir würden uns gerne bewerben.“ Ich solle mal Frau Roisch in der Sozialbehörde anrufen; die könne bestimmt Auskunft geben.
Sabine Roisch bestätigt: Die Ausschreibung ist noch gar nicht raus. Aber schon fertig formuliert! Warum das alles so elend lange dauert? Darüber, wie man Wohnungslosen und Obdachlosen mit einem geänderten Konzept besser helfen kann, wird doch schon seit Jahren debattiert! Es gibt einen Senatsbeschluss. Seit Sommer 2004! „2004 – und jetzt ist 2006“, bringe ich Frau Roisch auf Stand. „Tja“, sagt sie etwas keck, „das ist nun Aufgabe der freien Presse, sich darüber zu echauffieren, entsprechend politischen Druck zu machen und dafür die richtigen Worte zu finden.“ In zwei Wochen, so hofft sie, gehe die Ausschreibung raus. Frühestens.
Das ist also das Ergebnis mehrtägiger Telefoniererei? Die verantwortliche Behörde kann mir keine genauen Zahlen nennen, und um die Wohnungs- und Obdachlosen, um die es hauptsächlich gehen sollte und die betreut werden müssen, kümmert sich noch gar niemand?
Ernüchtert tätige ich einige letzte Anrufe. Klappere die Beratungsstellen für Wohnungslose ab und frage: Wie ist denn nun die Zusammenarbeit mit den neuen Fachstellen? Na ja, geht so – lautet der Tenor. Man bemängelt, dass zunehmend nur die Starken unter den Schwachen eine Chance hätten. Und demnächst würden auch noch die Bezieher von Arbeitslosengeld II, die man zum Umzug in billigere Wohnungen zwingt, auf diesen umkämpften Markt drängen.
„Schwierig!“, entfährt es etwa Andreas Breitenstein von der Beratungsstelle in Barmbek. Er fällt sich sofort selbst ins Wort: Keinesfalls will er die Kollegen in den Fachstellen in die Pfanne hauen! Die wurden ja neu zusammengewürfelt; mussten ihr Arbeitsgebiet erst kennen lernen und sich einarbeiten. Da sei wohl bei der Vorbereitung nicht alles optimal gelaufen. Und entsprechend lang habe alles gedauert. Ein Beispiel nur: Im Frühsommer 2005 bat seine Beratungsstelle die für sie nun zuständige Fachstelle um ein Gespräch. Hakte immer wieder nach. Kurz vor Weihnachten saß man dann zusammen. Seitdem würde es besser laufen. Doch was die versprochenen zusätzlichen Wohnungen betrifft: „Ich habe noch kein Wohnungsangebot gesehen und keinen Mietvertrag!“
Sieht so aus, als könne ich nicht finden, was es so noch nicht gibt. Aber ich bleibe dran. Versprochen.