Sein Theaterstück „Der Hamburger Jedermann“ ist ein echter Hit und läuft seit Jahren vor ausverkauftem Haus. Nun hat Michael Batz ein neues Stück geschrieben: „Hafenballade“. Es erzählt vom Hamburger Hafen, als dort die Hafenarbeiter noch Säcke schleppten und Fässer rollten.
(aus Hinz&Kunzt 240/Februar 2013)
Ich war immer hier, von Anfang an“, sagt der Mann. „Die haben mich ja gefunden, bei Blankenese, gegenüber. In so einer Kiste.“ Dick eingepackt ist er, gekleidet in einen schäbigen, unförmigen Mantel. Sitzt am Hafenbecken, schaut auf die Elbe, schaut auf die Welt.
„Kannsema“, so nennen sie ihn. „Kannsema“ wie: „Kannst du das mal machen.“ Schnell, ohne groß zu fragen, ohne Widerrede. Das erste Gesicht, in das er geschaut hat? Das war das von Tante Jasmine, die drüben die Hafenkneipe betreibt. „Aber ich schlaf da nicht mehr auf der Kneipenbank, ich schlafe jetzt draußen“, sagt Kannsema, schaut in die Höhe, wo der Himmel mit seinen Sternen sein könnte. Sein Job: die Gläser abspülen, die Stühle hochstellen, wenn der letzte Gast gegangen ist. Aber das kann dauern, so will er erst mal ein Lied singen. Und er fängt an, leise und etwas unsicher erst, dann lauter und textsicher: „In Hamburg hat die Nacht/nur selten Lust zum Beten …“
„Hafenballade“ heißt das Theaterstück, durch das Kannsema, gespielt von Michael Prelle, als Chronist und Kommentator führt. Eine Gemeinschaftsproduktion des Hamburger Theatermachers Michael Batz, der Regisseurin Franziska Steiof und des Komponisten Markus Voigt, der selbst als Musiker auf der Bühne steht – für das Hamburger Schauspielhaus. Das Stück führt zurück in die späten 1980er-Jahre, als die Ära der Stückgutfrachter endete und der Container seinen Siegeszug begann. Als im Hafen die Arbeit automatisiert wurde und sich die Schiffsbäuche fortan auf Knopfdruck hin leerten und wieder füllten.
Michael Batz holt tief Luft, erinnert sich: „Es sind vorher jeden Morgen 10.000 Arbeiter in den Hafen gebracht worden – und dann waren sie plötzlich weg. Und mit ihnen die Hafenkneipen, die Hafenimbisse, das Hafenkino. Die Touristen suchen das aber immer noch – dieses Hafenflair.“ Streunen vom Fischmarkt zum Baumwall, vom Baumwall zurück zum Fischmarkt und halten Ausschau nach einer Gastwirtschaft, die wie von früher aussieht: „So ’ne orginale Hafenkneipe mit richtig Tüdellütt, aber ohne Schmuddel“, wie es spöttisch im Stück heißt.
„Die Personen sind erfunden, auch wenn es Anleihen an reale Personen gibt“, sagt Franziska Steiof, die aus der Vorlage von Batz ein berührendes Spiel für sieben Schauspieler und eine dreiköpfige Musikkapelle inszeniert hat. „Wir fragen: Wenn sich etwas ändert, wer kann loslassen? Und wer kann es nicht? Wir sind das ganze Leben über ständig in solchen Entscheidungssitu-ationen.“ Batz sagt: „Wenn sich etwas grundlegend ändert, dann gibt es Opfer, es gibt Gewinner. Und es gibt vermeintliche Gewinner.“ Und oft wüsste man am Anfang nicht, wer was wird.
Auftritt: Greta (gespielt von Juliane Koren). Greta arbeitet in einer der Fischfabriken im Hafen. Also – sie hat da gearbeitet. Der Rücken macht nicht mehr mit. Sie ist nicht mehr die Jüngste. Was soll bloß werden? Da fasst sie einen Entschluss: Sie wird sich selbstständig machen. Sie wird die Kneipe von Tante Jasmine übernehmen, denn die macht endlich einen Entzug, geht ins Trockendock und will endgültig aufhören mit der Kneipe und dem Trinken.Damit nicht genug: Anna vom Hafenkino (gespielt von Sandra Maria Schöner) wird umgarnt von zwei Männern, die ganz unterschiedlich auf den Wandel reagieren. Der eine, Rick Jansen (Janning Kahnert), investiert in Container, der andere, Cord Jansen (Stephan Schad), setzt auf seinen alten Lagerschuppen. „Zwei Männer, auch noch zwei Brüder, lieben dieselbe Frau – im Kern ist das ein klassisches Drama“, sagt Franziska Steiof. Was ihr wichtig ist: „Jede Figur hat recht!“ Egal, ob sie gewinnt, ob sie scheitert.
Wobei es Batz und seinen beiden Mitstreitern nun nicht um eine Verklärung der guten, alten Hafenzeiten geht, als die Arbeiter noch mit der gemütlich tuckernden Barkasse rüber zu den Schuppen geschaukelt wurden und das Entladen eines Schiffes ebenso lange dauerte, wie es nun mal dauerte. „Man darf nicht vergessen, die Arbeiter sind damals völlig gedankenlos mit Giften umgegangen. Mit Asbest, mit Kali und was es da noch alles gab“, sagt Michael Prelle. „Die Leute waren mit 50 Jahren fertig, die hatten keine Bandscheibe mehr“, ergänzt Batz.
Michael Prelle übernimmt wieder: „Genau genommen waren die Hafenarbeiter damals auch nichts anderes als Zeitarbeiter. Wisst ihr noch, wie die frühmorgens im Radio ausgerufen wurden?“ Und er setzt sich gerade auf, imitiert eine sonore Radiostimme: „‚Gesucht werden für die Frühschicht 500 Schauerleute und 200 Stauer. Bitte mit gültigen Arbeitspapieren bei der Firma XY an den Landungsbrücken melden, Arbeitskleidung wird gestellt.‘ Die wurden nur gerufen, wenn sie gebraucht wurden; wenn schnell entladen werden musste. Und was, wenn kein Schiff da war? Die waren in totaler Abhängigkeit. Das darf man nicht vergessen.“ Batz wiegt den Kopf: „Aber die hatten auch diesen Stolz: ,Wenn es uns nicht gibt, rührt sich nix im Hafen.‘“
Batz kennt den Hafen aus jenen Tagen. Er suchte damals für sein Stück vom Hamburger Jedermann einen Spielort unter freiem Himmel, schaute sich auch in der Speicherstadt um. Wie lange ist das jetzt her? 1994 wurde der Jedermann uraufgeführt. Und läuft seitdem vor voll besetzten Stuhlreihen. Michael Batz stockt, legt den Kopf auf die Tischplatte, murmelt: „Mit dem Jedermann gehen wir bald ins 20. Jahr! Es ist nicht zu fassen.“ Michael Prelle grinst: Er ist von Anfang an dabei.
Jedenfalls: Damals sollte die Speicherstadt, die man nicht mehr als Lagerstätte für das Stückgut brauchte, abgerissen werden. Batz fährt sich durch das Haar, legt los: „Das war eine aufgegebene Hafengegend; es herrschte eine gebirgige Stille.“ Und er zitiert eine der Verantwortlichen, die damals bei der HHLA für die Immobilien zuständig war: „Die hat gesagt: ,Das machen wir hier jetzt tot, bevor die Künstler kommen‘ – wortwörtlich.“ Zum Glück ist das nicht passiert. Zum Glück kam die Speicherstadt unter Denkmalschutz, und so gibt es sie noch immer. „Es gab Demonstrationen für den Erhalt der Speicherstadt, von den Schauerleuten und den Hamburger Bürgern. Es gab diesen Aufkleber ,Hände weg von der Speicherstadt!‘, das weiß heute kaum noch jemand.“
Überhaupt – wie die Hamburger mit ihrer Geschichte umgehen! Batz verzieht den Mund: „Selbst auf dem Plakat zum Dockville-Festival gibt es diese Hafenkräne, die es nicht mehr gibt.“ Er lobt kurz das Hafenmuseum, das versucht, die Erinnerungen an die Stückgutzeit zu bewahren, das aber seit Jahren finanziell vor sich hin krebst: „Da geht in Hamburg die Liebe nicht hin und das Geld eben auch nicht.“ Doch Batz, Steiof und Voigt wollen ihr Stück nicht allein als eine Geschichte über die Wandlung des Hamburger Hafens verstanden wissen. Für sie ist das Thema größer angelegt: Was passiert, wenn sich die Dinge ändern – und zwar grundsätzlich? In einem Hafen, in einem Stadtviertel, aber auch zwischen zwei Menschen. „Wenn etwas vorbei geht, fängt man plötzlich an, sich zu erinnern, wie es eigentlich angefangen hat“, sagt Batz.
Und deshalb gibt es im Stück die Geschichte mit den 23 Kaffeebohnen: Die hat der Kai-Arbeiter Muschel Coors (gespielt von Achim Buch) gesammelt. Er braucht aber 24, um seiner angebeteten Greta so ein richtig schönes Kaffeegedeck zu bereiten. Die eine fehlende Bohne, das weiß er, liegt verschlossen in einem dieser Container. Da kommt er nicht ran. Und dann verliert er auch noch die anderen 23 Bohnen! Weil Kannsema, dem das alles zu schaffen macht, was im Hafen passiert, der trinkt zum allerersten Mal in seinem Leben Schnaps. Richtig viel Schnaps. Und, na ja, am nächsten Morgen, da braucht er einen starken Kaffee und da … „Die Kaffeebohnen stehen natürlich für die Geschichten, die drohen verloren zu gehen“, sagt Franziska Steiof. „Theater funktioniert über das Konkrete, da kann man keine Theorien erzählen.“ Und sie schaut rüber zu Michael Prelle: „So einer wie der Kannsema, der hat was Besonderes: Der kann den Hafen sprechen hören.“
Text: Frank Keil
Foto: Dmitrij Leltschuk