Unter der Kersten-Miles-Brücke am Bismarck-Park wohnt seit Monaten eine Gruppe junger obdachloser Punks. Die Bild-Zeitung machte im März lautstark Stimmung gegen sie und warf ihnen vor, Touristen abzuschrecken und den Park zu vermüllen. Auch der Bezirk Mitte möchte die Punks möglichst schnell von der Straße kriegen. Wir haben die jungen Leute kennengelernt und uns selbst ein Bild gemacht.
(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)
Unter dem Schlafsack lugen zwei strubbelige, giftgrün gefärbte Haarschöpfe hervor. Gegen den kalten Wind haben Asi und Tsecke sich eng aneinandergekuschelt. Das junge Pärchen ist gerade erst wach geworden. Ihre Mischlingshündin „Knoppers“ liegt neben ihnen, leckt ihre Lefzen und blinzelt friedlich in die Sonne. „Morgen“, murmelt Tsecke verschlafen …
Nur eine Minute zu Fuß von den Landungsbrücken entfernt, unter der Kersten-Miles-Brücke, liegen zwölf junge Menschen auf Isomatten und alten Matratzen. Einige leben seit mehreren Monaten hier, haben sogar hier überwintert. Andere sind gerade erst dazugekommen. Ihr Schlafplatz ist vollgestellt mit Kerzen, Campingkochern und Klamotten, es liegen Bierflaschen und alte Plastiktüten herum. Vier Hunde wuseln umher, es herrscht ein ziemliches Durcheinander. Richtig ordentlich sehen nur die drei metallenen Hundenäpfe aus: Sie sind fein säuberlich aufgereiht und mit Trockenfutter und frischem Wasser gefüllt.
Die meisten hier sind zwischen 16 und 25 Jahren. Sie sind Punks, sagen sie. Und sie sagen auch, dass sie auf ein normales Leben einfach keine Lust haben. „Ich habe Punkrock im Herzen“, sagt zum Beispiel Skunxs, der mit seinen 31 Jahren hier einer der Ältesten ist. „Ich lebe meine Freiheit, meine eigene Anarchie, ich bin von niemandem abhängig.“ Andere nicken. Sie teilen diese Lebenseinstellung. Sie sind stolz darauf, dass sie keinen Cent vom Staat nehmen und nur von dem leben, was ihnen die Leute auf der Straße geben. Einige von ihnen sind häufig in ganz Deutschland, Frankreich oder Spanien unterwegs und bleiben selten lange an einem Ort.
Früher habe er eine Ausbildung zum Facharbeiter gemacht und sei danach ganz normal zur Arbeit gegangen, sagt Skunxs. Aber von seinem Monatslohn habe er gerade sein Auto, seine Wohnung und das Essen bezahlen können, sagt er. „Da lebe ich lieber auf der Straße und kann mich dafür in die Sonne legen, wenn ich Lust dazu habe.“ Fast alle hier haben wie Skunxs eine ziemlich romantische Vorstellung von Freiheit und Unabhängigkeit. Dazu passt ihr provokantes Äußeres mit den bunten Haaren und den zerrissenen Klamotten. Und dazu passt auch ihre laute Musik, die von Rebellion und einem unangepassten Leben erzählt.
Keiner aus der Gruppe sagt, dass er mit seiner Lebenssituation unglücklich ist. Allerdings wird schnell klar, dass viele der Punks nicht ganz freiwillig auf der Straße leben. Skunxs ist verschuldet,
Tsecke hat im letzten Sommer seine Wohnung in Freiburg verloren. Curly ist erst 16, kommt aus Harburg und sagt, dass sie von ihrer Mutter geschlagen wurde. „Die war völlig überfordert mit mir“, sagt das zierliche Mädchen und gibt sich Mühe, so zu wirken, als habe sie das längst weggesteckt. Ihre Freundin Lilo streichelt ihr tröstend über den Kopf. Die 21-Jährige kommt aus Wien und sagt, ihre Adoptiveltern hätten sie rausgeworfen, weil sie einen Punker als Freund hatte. Mit Unterbrechungen lebt sie seit vielen Jahren auf der Straße. „Manchmal schreibe ich meinen Eltern einen Brief“, sagt sie, „aber eine Antwort bekomme ich nie. Die wollen mich nicht mehr.“ Probleme hat offenbar ein Großteil der Gruppe. Die meisten trinken ziemlich viel Alkohol.
Asi und Tsecke sind mittlerweile aufgestanden und berichten aus ihrer Sicht vom Leben unter der Brücke. „Probleme haben wir hier selten, Angst muss vor uns auch keiner haben“, meint Tsecke. Häufig kämen sogar Passanten und Anwohner vorbei, die ihnen Essen, Matratzen oder Hundefutter schenkten, sagt der 19-Jährige. „Wir tun ja auch keinem was und wollen eigentlich nur unsere Ruhe.“ Mit der Gruppe polnischer Obdachloser, die auf der anderen Seite der Brücke übernachtet, hätten sie wenig zu tun. „Ab und an geben wir uns gegenseitig Essen ab“, sagt Tsecke.
Asi versteht nicht, warum manche Leute so aggressiv auf Punker und Obdachlose reagieren. Betrunkene Dom-Besucher kämen zum Beispiel öfter vorbei und pöbelten, sagt die 20-Jährige. Geärgert hat Asi sich aber auch über die Bild-Zeitung, die im März abfällig über die Gruppe berichtet hatte. Die Reporter hätten sie einfach ungefragt fotografiert. „Wir sind zwar obdachlos, aber wir sind doch keine Affen im Zoo, die man einfach so fotografieren kann!“ Asi ärgert auch, dass die Bild der Gruppe und ihren Hunden vorgeworfen hat, den Bismarck-Park zu verschmutzen. „Hier lassen alle ihre Hunde laufen“, sagt Asi. „Wieso werfen die ausgerechnet unseren vier Hunden vor, den Park zu verdrecken?“
Die hygienische Situation unter der Brücke ist allerdings in der Tat ein Problem. Skunxs sagt zwar, dass er nur in Kneipen oder sozialen Einrichtungen aufs Klo geht. Aber 20 Meter weiter stinkt es ziemlich. In der Umgebung gibt es keine Toiletten. Dem Bezirk Hamburg-Mitte ist die Gruppe deshalb schon länger ein Dorn im Auge. Laut Bezirks-amtsleiter Markus Schreiber (SPD) häufen sich Beschwerden der Grünarbeiter, weil sie ständig Müll und Fäkalien wegräumen müssten. Der Bezirk will den Punks daher schnell eine andere Unterkunft anbieten und die Platte unter der Brücke mit einem Zaun versperren lassen. „Aber erst muss für die jungen Leute eine akzeptable Lösung gefunden werden“, so Schreiber. Dafür sucht er jetzt den Kontakt mit den Straßensozialarbeitern der unabhängigen Stiftung „Off Road Kids“, die mit der Gruppe schon länger Kontakt haben. Eine Lösung könnte beispielsweise Ähnlichkeit mit dem Wohnprojekt am Holstenkamp haben (siehe Seite 10).
Wenn man die Punks fragt, dann haben sie ganz unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Zukunft. Skunxs will bald nach Spanien weiterreisen, Asi und Tsecke überlegen, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Lilo, die Abitur hat, würde am liebsten studieren. „Kinderpsychologie wäre toll, wenn das mit der Kohle klappt“, sagt sie.
Markus Seidel, der Vorsitzende der „Off Road Kids“, ist davon überzeugt, dass man Jugendliche nur mit individuellen Lösungen von der Straße holen kann. Seine Stiftung sei gerne bereit, mit der Stadt zusammenzuarbeiten, sagt er. Aber nur, wenn das auch im Sinne der Punks sei. „Unser primäres Interesse ist es, Perspektiven für Straßenkinder zu finden, aber sicher nicht, die Stadt sauber zu halten“, sagt er. „Wir sind keine Straßenkehrmaschine.“
Unter der Brücke räumen die Punks ihre Platte auf und machen sich auf den Weg, um Geld zu schnorren. Sie reden über den geplanten „Anti-Punker-Zaun“, von dem sie in der Bild-Zeitung gelesen haben. „Das ist doch lächerlich. Als ob ein Zaun helfen würde“, sagt Asi. „Wenn die von der Stadt uns hier vertreiben, dann gehen wir halt einfach woanders hin.“
Text: Hanning Voigts
Fotos: Mauricio Bustamante