Vor dem Bürgerkrieg in Äthiopien geflohen, fand die Familie von Yared Dibaba in Deutschland ein neues Zuhause. In seinem Buch „Der Heimatforscher“ erzählt der NDR-Moderator von seinem oft schwierigen Leben zwischen zwei Kulturen
(aus Hinz&Kunzt 199/September 2009)
An den Morgen, als die Soldaten kamen, erinnert sich Yared Dibaba noch ganz genau. Sieben Jahre war er alt, als bewaffnete Soldaten während des Bürgerkrieges in Äthiopien in das Haus seiner Eltern in Addis Abeba eindrangen und es durchsuchten. „Ich weiß noch, wie die aussahen, ihre grünen Uniformen, die schwarzen Stiefel, ihre Kalaschnikows.“ Yared und sein ein Jahr jüngerer Bruder verstanden nicht, was da mit den Erwachsenen vorging, die im Wohnzimmer mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand standen. Die Angst kam erst später, bei Schießereien in der Nachbarschaft: „Da hatte ich wirklich Todesangst und dachte, gleich sind wir dran.“
Wer den NDR-Moderator heute erlebt, der kann sich schwer vorstellen, dass seine Kindheit und Jugend von Flucht und Entwurzelung überschattet wurden. Intakt und entspannt wirkt er, wie jemand, der mit sich selbst im Reinen ist. Im richtigen Leben sieht der 40-Jährige sogar noch besser aus als im Fernsehen: Ein Megawattlächeln mit makellos weißen Zähnen, strahlende Bambiaugen unter langen Wimpern – Yared Dibaba hat Starqualitäten. Einer, der das Beste aus einem unberechenbaren Leben voller Brüche gemacht hat: „Ich kann schneller auf veränderte Lebensumstände reagieren und bin flexibler, das ist ein großer Schatz. Denn es gibt keine Garantien im Leben.“ Er selber habe Glück gehabt: „Das hätte auch anders kommen können.“
1969 in einem kleinen Dorf in der äthiopischen Provinz Oromya geboren, erlebte der Sohn eines Lehrers und einer Krankenschwes-ter seine ersten Lebensjahre als unbeschwertes ländliches Paradies. Doch ein drohender Umsturz der herrschenden Monarchie brachte Unruhen, und dankbar nutzten seine Eltern das Angebot, in Deutschland zu studieren.
Für Yared und seinen Bruder, vier und drei Jahre alt, war der Umzug nach Osnabrück ein Schock. Nur weiße Gesichter, eine kalte, nasse Stadt, eine enge Mietwohnung mit Kohleofen: „Da mussten wir ganz leise sein, weil die Nachbarn sich beschwerten. Das war schon sehr bedrückend.“ Doch mit der Zeit lebten die Kinder sich ein, kamen in der Normalität an, wuchsen mit der „Sesamstraße“ und „Bonanza“ auf. „Und dass ich irgendwann im Kindergarten der Größte und Stärkste war, hat auch geholfen“, sagt er und lacht.
Drei Jahre später kehrte die Familie nach Äthiopien in ein politisch instabiles Land zurück, das Militär gewann immer mehr die Oberhand. Hausdurchsuchungen, wie bei den Dibabas, waren an der Tagesordnung, und der siebenjährige Yared musste täglich vor der Schule, morgens um vier, zur militärischen Früherziehung. „Wir haben uns Holzgewehre gebaut und Nahkampfübungen gemacht, als würden wir mit dem Bajonett zustechen, jemanden umhauen, im Gleichschritt marschieren. Es ging um den Drill, damit man kopfmäßig in der Spur ist, wenn man mit 16 in den Krieg geht.“
Es habe auch eine politische Schulung gegeben. „Damals wurde Krieg gegen Somalia geführt, und mir war klar, dass die Somali unsere Feinde waren.“ Er könne sich heute gut vorstellen, wie Indoktrinierung damals im Dritten Reich funktioniert habe, sagt er nachdenklich. Auch aus anderen Gründen bekommt er heute eine Gänsehaut, wenn er an diese Zeit zurückdenkt: „Mein älterer Sohn ist jetzt sieben Jahre alt.“
Der Familie gelang es 1979, über Kenia wieder nach Deutschland zurückzukehren, diesmal für immer. In Falkenburg im Landkreis Oldenburg fand der Vater Arbeit. Falkenburg ist ein kleines Dorf, die Dibabas waren die einzigen Schwarzen im Umkreis. „Im Rückblick denke ich, dass man es uns dort relativ leicht gemacht hat“, sagt er. Offen im Kopf und freundlich habe er die Norddeutschen auf dem Land erlebt. „Wenn wir in Ostfriesland mit mehreren Familien aus Oromya Urlaub gemacht haben, wurden wir sehr herzlich aufgenommen.“
Offene Anfeindung habe er einige wenige Male erlebt, aber durchaus mal Ablehnung gespürt: „Als Kind hast du feine Antennen dafür.“ Natürlich sei es anstrengend gewesen, überall angestarrt zu werden. „Man fällt eben immer auf. Und verstecken geht nicht.“ Also passte er sich an, war wie die anderen Jungs beim Technischen Hilfswerk und lernte fließend Plattdeutsch. Diese Sprache hat ihn, mehr als alles andere, in Norddeutschland verwurzelt: „Da ist meine Heimat.“
Trotzdem fiel es ihm nicht leicht, seinen Platz zu finden. Seine Rechtschreibschwäche machte es ihm in der Schule schwer, zweimal blieb er sitzen. Viel lieber hätte er die Schule abgebrochen und die Schauspielschule besucht, aber das durfte er erst nach dem Abitur.
Mit Begeisterung jobbte er als Dressman, ließ sich in der Uncle-Ben´s-Werbung mit Milchreis bewerfen und kam schließlich über Umwege zum NDR-Fernsehen. Seit 2006 besucht er für „Die Welt op Platt“ Plattsnacker rund um den Globus. Ab 2007 ersetzte er in der Freitagabend-Talkshow Eva Herman, ab September wird er nun stattdessen „Land und Liebe“ moderieren. Am 1. September erscheint auch sein neues Buch „Der Heimatforscher“, in dem er seine Geschichte erzählt und mit denen deutscher Auswanderer vergleicht.
Und doch wird jemand wie er in Deutschland wohl noch lange darauf warten müssen, im Fernsehen die Zwanzig-Uhr-Nachrichten lesen zu dürfen. Denn Dibaba hat zwar einen deutschen Pass, ist aber nun mal schwarz. Der Moderator macht – wie immer – das Beste daraus. Dass er dabei als Plattdeutsch sprechender Schwarzer seinen Exotenstatus überreizen könnte, weist er energisch zurück. „Für mich ist Plattdeutsch normal, weil ich da aufgewachsen bin“, sagt er entschieden und spielt den Ball zurück: „Es ist nur für Sie schräg, weil Sie meine schwarze Hautfarbe sehen! Ich mache mich nicht zum Clown.“
Sich in beiden Kulturen verankert zu haben, ist für Dibaba Alltag geworden. Sein Zuhause hat er in Altona gefunden, für seine beiden Söhne (sieben und zwei) ist es dort Normalität, Menschen jeder Hautfarbe zu begegnen. Dass er schließlich seinen Platz im Leben gefunden hat, liegt vor allem an seiner Familie, die während ihrer Odyssee immer zusammenhielt. „Mein Urvertrauen und mein Gottvertrauen habe ich nie verloren“, sagt er dankbar.