Die Hamburger Tiertafel macht Hunde, Katzen und Meerschweinchen satt, wenn
ihre Herrchen mit wenig Geld auskommen müssen
(aus Hinz&Kunzt 192/Februar 2009)
Tiko ist zum ersten Mal da und kriegt sich gar nicht mehr ein. Schwanzwedelnd zerfetzt der zehnjährige Mischlingsrüde die rote Papierdecke auf dem Tisch neben der Ausgabestelle. Kein Wunder,dass er so aufgeregt ist. Selbst Menschennasen merken: Hier gibt es Futter! Paletten- und säckeweise stapelt es sich im Keller des Altonaer Wohnhauses, in dem sich die Hamburger Tiertafel eingemietet hat. Zweimal im Monat werden die Kellertüren geöffnet für Kunden wie Tiko und ihre Besitzer.
Bei Hartz-IV-Empfängern, Obdachlosen, Rentnern oder Auszubildenden ist das Geld knapp. Wenn sie es nicht schaffen, ihre Lieblinge aus eigener Tasche artgerecht zu füttern, hilft die Tiertafel. Sie verteilt kostenlos Dosenfutter und Leckerlis, gibt dazu Tipps zur Tierpflege und vermittelt im Notfall auch die Hilfe eines Tierarztes.
Bis zu 100 Euro kosten Hund oder Katze ihre Halter im Monat – für Pflege, Arztbesuche und Impfungen. Gratisfutter, das sonst mit etwa 30 Euro zu Buche schlägt, sei da eine große Entlastung, sagt Rita Hülsen. Sie kommt mit ihrer Hündin Püppi seit zwei Jahren regelmäßig zur Tiertafel. Die Frührentnerin und ihr Lebensgefährte müssen mit etwa 700 Euro im Monat auskommen – zu wenig, um sich selbst und Püppi zu versorgen. Dabei spart Rita Hülsen, wo sie kann, und backt sogar selbst Hundekuchen für ihre neunjährige Hundedame. „Püppi darf es an nichts fehlen. Ich habe keine Kinder, und meine Süße ist alles, was mich aufrecht hält.“ Sie würde wahrscheinlich den ganzen Tag nur auf dem Sofa liegen und fernsehen, sagt Rita Hülsen, gäbe es nicht Püppi. So steht die 53-Jährige jeden Morgen um sechs Uhr auf, und die beiden drehen ihre Runde. Die Spaziergänge verschaffen ihr nicht nur frische Luft und Bewegung, sondern auch die Begegnung mit anderen Hundefreunden. Püppi abgeben zu müssen, weil das Geld fürs Futter fehlt – ein Albtraum, an den sie nicht mal denken mag.
„Möchtest du auch ein Schweineöhrchen?“, fragt die Helferin an der Ausgabestelle freundlich. „Hmmh“- und „Ohh“-Geräusche von den Umstehenden. Tiko sabbert zustimmend. So etwas Gutes hat er schon eine Weile nicht mehr bekommen. „Jetzt war ja erst Weihnachten“, sagt Frauchen Michaela Siemianowski. „Das kostet ja schon immer. Vor allem mit drei Kindern.“ Normalerweise komme sie ganz gut aus mit dem Haushaltsgeld und wolle gar nicht regelmäßig zur Tiertafel kommen. „Aber wenn es finanziell mal eng wird – warum nicht das Hilfsangebot in Anspruch nehmen?“, so die 39-Jährige.
Um bedürftigen Menschen die Sorge zu nehmen, ihr Tier aus Geldnot abgeben zu müssen, hat Bettina Elze im September 2006 die Hamburger Tiertafel ins Leben gerufen. Bei ihrem Engagement im Tierschutz lernte sie einen Mann kennen, der seinen Hund zu verlieren drohte. „Er wurde arbeitslos und schaffte es finanziell nicht mehr, seinen alten, kranken Hund zu versorgen. Ich konnte und wollte das nicht akzeptieren, dass jemand seinen besten Freund ins Tierheim bringen muss – wegen Geld.“ Sie entdeckte die Idee von Tiertafel-Gründerin Claudia Hollm und eröffnete eine Ausgabestelle in Hamburg. Das brachte ihr erst mal Unverständnis und zunächst wenig Unterstützung ein. „Viele verstehen nicht, warum sie für Tiere spenden sollen, obwohl doch genug Menschen Not leiden“, sagt Bettina Elze. Dabei sei für Hunde- und Katzenbesitzer klar: Hilfe für das tierische Familienmitglied ist Hilfe für den Menschen. Bedürftigen Herrchen und Frauchen wird eine große Sorge abgenommen, wenn Tiko oder Püppi gut versorgt sind. Und natürlich wird mit kostenlosem Futter auch die Haushaltskasse entlastet.
Die Futterspenden bekommt das Team der Tiertafel von zwei Großspendern und unzähligen privaten Unterstützern. Ob kiloweise Leckerlis oder zwei Dosen Futter, das der eigene Hund nicht mag: Jede Hilfe ist willkommen – und landet direkt bei den 712 registrierten Kunden der Hamburger Tiertafel, die aus dem ganzen Stadtgebiet kommen. Im vergangenen Jahr verteilten Bettina Elze und ihr Team Leckereien an etwa 900 Katzen, 700 Hunde, unzählige Kleintiere und 52 Vögel. Und für vier Fische – die allerdings kamen nicht persönlich vorbeigeschwommen.