Hamburgs Ganztagsschulen werden kaputt gespart. Besonders betroffen sind die ärmeren Stadtteile
(aus Hinz&Kunzt 161/Juli 2006)
Ausgerechnet bei den ganztägigen Förder-, Grund- und Hauptschulen in den Problemvierteln wird der Rotstift angesetzt. Sie sollen bis 2008 rund 60 Prozent bei ihrem pädagogischen Mehrbedarf einsparen, damit mehr Gymnasien in Ganztagsschulen umgewandelt werden können. Die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke.
„Mehr sparen geht einfach nicht! Wir sind am Ende.“ Schulleiterin Barbara Müller-Heidtkamp ist wütend. Sie leitet die Förderschule Hauskoppelstieg in Billstedt-Horn, mit mehr als 300 Schülern die größte Förderschule der Stadt. Das soziale Umfeld ihrer Schüler beschreibt die Direktorin der Ganztagsschule knapp mit drei Zahlen: „70 Prozent der Kinder kommen aus einem Hartz-IV-Haushalt, 65 Prozent sind Jungs, mehr als 50 Prozent haben einen Migrationshintergrund.“ Sie habe an der Schule „die ganze Palette“, sagt sie offen: „Kriminalität spielt eine Rolle, wir haben viele Kinder, die zu Hause geprügelt, aber nicht ausreichend versorgt werden.“
Durch den Sparkurs des Senats sieht Barbara Müller-Heidtkamp die Kinder ihrer Schule „wieder diskriminiert“: Sechs Lehrerstellen wurden ihr gestrichen, drei weitere sollen folgen. „Wenn wir die Qualität des Unterrichts nicht mehr halten können, wird der Abstand zu den Kindern auf den Hauptschulen immer größer.“
Der Sparkurs geht zurück auf einen Beschluss des Senats aus dem Jahr 2004. Danach soll die Ganztagsschule Hauskoppelstieg – genauso wie alle anderen Ganztagsschulen in Hamburg – bis zum Schuljahr 2008/2009 ihren „pädagogischen Mehrbedarf um 60 Prozent absenken“. Die Bildungsbehörde will mit dem eingesparten Geld alle Gymnasien in der Stadt zu Ganztagsschulen umwandeln, dazu müssen „Bedarfsgrundlagen angeglichen werden“ – wie es beschönigend heißt.
„Ich sehe ja ein, dass mehr Ganztagsschulen entstehen müssen“, sagt Schulleiterin Müller-Heidtkamp. „Aber bei uns schlägt jede Kürzung einer Lehrerstelle doppelt zu Buche. Unsere Kinder brauchen viel mehr Kontrolle und vor allem qualifizierte Lehrkräfte.“ Von den Plänen der Bildungsbehörde, 40 Prozent des Lehrpersonals auf Honorarbasis zu besetzen, statt bisher 15 Prozent, hält sie nichts. „Ich kann keine Honorarkraft allein vor eine unserer Klassen stellen, ohne Ausbildung. Das schaffen die gar nicht. Honorarkräfte können mithelfen, aber keine Lehrer ersetzen.“
„An den Gymnasien wird die Ganztagsschule ausgebaut, es fließen mehr Gelder dorthin, bei den Hauptschulen wird gestrichen“, kritisiert Silke Breuer, Leiterin der Integrierten Haupt- und Realschule Hermannstal in Hamburg-Horn das Konzept des Senats. In ihrer offenen Ganztagschule fallen im kommenden Schuljahr 30 Sprachförderstunden weg. „Wenn das so weiter geht, können wir unser Konzept nicht aufrechterhalten. Wir haben zum Beispiel für die 5. bis 10. Klasse zwei bis drei Stunden Hausaufgabenbetreuung durch Lehrer fest im Programm.“
Das Besondere an der Schule Hermannstal: Die Hausaufgabenhilfe ist nicht freiwillig, die Kinder müssen dort hingehen, andere Nachmittagsangebote wie Billard sind in dieser Zeit gesperrt. Lehrer erarbeiten mit den Schülern Arbeitspläne, damit sie lernen, sich zu organisieren. Es geht um Fragen wie „Wo stehe ich?“ – „Was muss ich in dieser Woche, im nächsten Monat noch alles schaffen?“
„Das sind früher Aufgaben der Eltern gewesen“, so Silke Breuer. „Aber das kann ich nicht mehr voraussetzen bei unseren Kindern. Wir müssen in der Schule viel auffangen, was zu Hause nicht stimmt, von Hygiene bis zur Gesundheitsvorsorge – und trotzdem haben auch diese Kinder ein Recht zu lernen. Ich kann doch nicht die Kinder dafür bestrafen, dass ihre Eltern sich nicht kümmern.“
Diese Zusatzaufgaben der Schule kosten Zeit, können nicht im laufenden Unterricht vermittelt werden. Die Schule Hermannstal hat daher spezielle Konzepte erarbeitet, um Lernen zu lernen: Deutsch- und Mathewerkstätten, Arbeit in kleinen Gruppen mit 13 Schülern. Eigentlich genau das, was Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig wünscht: die Teilung der Klassen in kleinere Lerngruppen. „Im Schuljahr 2007/2008 können wir das aber nicht mehr anbieten, wenn weiter so gespart wird“, so Silke Breuer.
Bleibt den Ganztagsschulen am Nachmittag also nur die reine Betreuung der Kinder? „Es läuft auf Beschäftigungstherapie hinaus“, meint Klaus Wendtland vom Verband Hamburger Schulleitungen. Er hatte für seine Grund-, Haupt- und Realschule an der Königstraße den Antrag auf Umwandlung zur Ganztagsschule gestellt. „Wir haben den Antrag zurückgezogen, genau wie 20 andere Schulen auch. Wir hätten nur 40 Prozent der Ausstattung bekommen, die es früher für Ganztagsschulen gab“, so Wendtland. „Das können wir nicht schaffen.“ Die Entscheidung fiel ihm und dem Kollegium nicht leicht. „Gerade in Problemvierteln ist die Ganztagsschule wichtig. Aber die Qualität der Schule muss eben auch stimmen, und das geht nicht zum Billigtarif.“ Offenbar gehe es der Bildungsbehörde vor allem um wirtschaftliches Denken, nicht um pädagogisches. „Selbstverwaltete Schule – das klingt ja gut und schön, aber in Wahrheit sind wir doch nur die Verwalter des Mangels.“ Er fordert: „Lasst die Schüler nicht im Stich!“
Schulsenatorin Dinges-Dierig wurde unlängst offenbar ihr eigener Sparkurs unheimlich. Als bekannt wurde, dass nach den Sommerferien in einem Viertel der ersten Klassen rund 30 Kinder sitzen werden, schien sie zurückzurudern. In einem Interview mit der „Welt“ sagte sie: „Das macht mir Sorgen.“ Allerdings könne das Lehrpersonal mit „modernen Unterrichtsmethoden“ und Teilung der Klassen in Lerngruppen gegensteuern. Laut Rechnung der GAL hat die Schulbehörde den Grundschulen erst einmal 80 Lehrerstellen entzogen, 30 weitere – so fürchtet die GAL – werden folgen.