Zwei Experten streiten über Sinn und Unsinn des Ein-Euro-Programms
(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)
Die Menschen sind zufrieden, dass sie eine Aufgabe bekommen, sagt der eine. Reguläre Arbeit wird verdrängt, meint die andere. Ein Streitgespräch zwischen Stephan Müller (Beschäftigung + Bildung) und Gaby Gottwald (ehemals Abakus).
H&K: Herr Müller, kann ein Beschäftigungs-träger mit Ein-Euro-Jobbern Geld verdienen?
Stephan Müller: Im Augenblick nicht. Wir schießen eher zu.
H&K: War die Fallkostenpauschale, die sie für ABM bekommen haben, höher?
Müller: Ja, weitaus. Sie lag zwischen 500 und 600 Euro im Monat. Für die Ein-Euro-Jobs bekommen die Träger im Schnitt 375 Euro.
H&K: Frau Gottwald, Sie haben Ihren Be-schäftigungsträger Abakus Ende vergan-genen Jahres zugemacht, als es mit den Ein-Euro-Jobs losging. Warum?
Gaby Gottwald: Das Programm rechnet sich betriebswirtschaftlich nicht, jedenfalls nicht für Träger, die eigene Betriebsstätten haben, um die Ein-Euro-Jobber zu beschäftigen. Wir hätten mit dem gleichen Per-sonal mindestens ein Drittel mehr Teilnehmer betreuen müssen und weniger Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln können. Au-ßerdem finden wir das Programm inhaltlich falsch: Denn Ein-Euro-Jobs verdrängen reguläre Beschäftigung und drücken das Lohnniveau. Zur Integration in den Arbeitsmarkt taugen sie nicht.
H&K: Herr Müller, Sie machen trotzdem weiter.
Müller: Wir finden die Veränderungen nicht so wesentlich. Wir wollen als Träger weiter am Markt bestehen, denn ich will auch die Arbeits-plätze bei B+B sichern. Natürlich gibt es durchaus kritische Punkte: Hartz IV übt Druck auf die Arbeit Suchenden aus, aber auf der Ange-botsseite geschieht nichts Entsprechendes. Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze.
H&K: Sind Ein-Euro-Jobs zusätzlich?
Gottwald: Wenn sie zusätzlich wären, würde sie kein Arbeitgeber wollen. Denn zusätzliche Arbeit muss zusätzlich organisiert werden. Warum soll zum Beispiel eine soziale Einrichtung, die ohnehin wenig Geld hat, einen Job einrichten, den sie selbst nicht braucht? Nein, gerade im sozialen Bereich ist der Druck so groß, dass Einrichtungen alles nehmen, was sie bekommen können. Da kann man nicht von zusätzlicher Tätigkeit reden.
Sinnvoll sind die Jobs auch nicht unbedingt. In Hamburg liegen ver-mutlich zwei Drittel der Ein-Euro-Jobs im Kooperationsbereich, wo die Gefahr, reguläre Arbeit zu verdrängen, am größten ist. Träger, die keine eigenen Einsatzfelder haben, versuchen, die Arbeitslosen an andere zu vermakeln. Da fragt doch niemand, ob der einzelne Arbeits-platz sinnvoll ist. Den Vermittlern geht es darum, die Fallkostenpau-schale einzustreichen. Das ist Schnäppchenjagd.
Müller: Klar, die Arbeit, die Ein-Euro-Jobber übernehmen, steht ande-ren nicht mehr zur Verfügung. Deshalb müssen wir im Konsens mit Kammern und Verbänden Bereiche und Nischen definieren, die man für Ein-Euro-Jobs freihält.
Aber was wäre die Alternative? Es geht ja auch darum, Langzeitar-beitslosen die Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Teilnehmer von uns sagen: ‚Hauptsache, wir sind wieder drin, wir haben Kollegen und eine Struktur im Alltag.‘ Sie würden sogar auf den einen Euro zusätzlich verzichten. Und was spricht grundsätzlich dagegen, Menschen, die arbeitsfähig sind und staatliche Leistungen bekommen, öffentliche Aufgaben zu geben?
Gottwald: Da sind wir beim Punkt: ‚Wer Geld von uns kriegt, soll auch arbeiten‘ – das ist die Botschaft von Hartz IV. Aber verkauft wird die Pflichtarbeit als Integrationshilfe. Das ist die Lüge an der Geschichte.
H&K: Herr Müller, wie viele Teilnehmer bringen Sie denn in Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt?
Müller: Bei ABM war es jeder vierte, manchmal jeder dritte, je nach Maßnahme.
Gottwald: Aber das Ein-Euro-Programm hat eine andere Qualität. Individuelle Betreuung ist kaum noch möglich, die Masse wird durch-geschleust, geht danach wieder nach Hause, und die Arbeitsagentur kann sagen: Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit unterbrochen.
Müller: Sollen wir sie also gleich zu Hause sitzen lassen?
Gottwald: Nein, die Alternative ist eine bessere Politik.
H&K: Wie sähe die aus?
Gottwald: Erstens: Man kann Menschen nur dann in Arbeit bringen, wenn es Arbeit gibt. Zweitens: Ich muss von meinem Arbeitseinkom-men halbwegs vernünftig leben können, es darf nicht unter dem Existenzminimum liegen. Eine soziale Grundsicherung in dieser reichen Gesellschaft muss möglich sein, ohne jemandem sinnlose Arbeit aufzuzwingen.
Wenn es keine bezahlten Jobs gibt, kann man Arbeitslose qualifizieren oder sie sozial betreuen. Aber beides geht nicht mit Zwang.
Müller: Den sehe ich auch nicht. Unsere Teilnehmer sind zufrieden. Wenn sie Zwang empfänden, würden sie sich massenhaft verweigern.
H&K: Der Ein-Euro-Job weckt Hoffnung bei den Menschen, läuft aber nur über zehn Monate. Ist das nicht problematisch?
Müller: Ja. Das war auch bei ABM schon so. Die Teilnehmer haben die Sehnsucht nach Geborgenheit am Arbeitsplatz. Aber die können wir nicht bieten, weil wir darauf aus sind, sie auf dem Sprung zu halten.
H&K: Wir hatten „Tariflohn statt Sozialhilfe“, wir hatten ABM, wir haben jetzt die Ein-Euro-Jobs. Jedesmal sind die Standards gesenkt worden. Wie geht die Reise weiter?
Müller: Man wird sich mit den Ein-Euro-Jobs erst mal einrichten. Entscheidend ist: Welche Bedingungen werden die Auftraggeber formulieren? Treiben sie die Preise weiter nach unten?
H&K: Das werden sie tun…
Müller: Die Träger müssen deshalb auf Qualität drängen. Wenn das Geld für Qualifizierung und Personalentwicklung nicht mehr reicht, wenn die Langzeitarbeitslosen nur noch morgens erscheinen und irgendwas tun müssen – dann ist Schluss. Aber soweit ist es noch nicht.
Gottwald: Das Ein-Euro-Programm in der jetzigen Form wird so schnell enden wie der Höhenflug eines Huhns. Denn das Versprechen, Langzeitarbeitslose dadurch wieder zu integrieren, ist eine gigantische Lüge. Sie werden nur auf einem riesigen Umschlagplatz hin und her bewegt.