Hinz&Kunzt Verkäufer Klaus Meier hat einen gesetzlichen Betreuer und ist froh darüber. Uwe Skambraks dagegen betreut Betreuer – und wünscht sich, dass diese ,,druckfest‘‘ sind.
(aus Hinz&Kunzt 214/Dezember 2010)
Am Anfang ist es nicht so einfach, Klaus Meier zu folgen. Er dehnt die Worte, er verschluckt Buchstaben, hebt und senkt fortlaufend die Stimme. Das hat einen Grund: Klaus Meier ist Spastiker. Nicht immer lief sein Leben in geraden Bahnen. „Ich spreche da ganz offen drüber“, sagt er. „Ich hatte jede Menge Probleme, auch psychische.“ Und Alkohol spielte eine Rolle. Immer wieder verlor er den Halt. Das kann ihm nun nicht mehr so schnell passieren – dank eines gesetzlich bestimmten Betreuers, der seine rechtlichen und finanziellen Belange regelt. Im Gegenzug hat Klaus Meier einige seiner Rechte abgegeben: Er ist zum Beispiel nicht mehr voll geschäftsfähig.
Dass Klaus Meier diesen Schritt gewagt hat, ist nicht selbstverständlich. Er holt tief Luft, beginnt seine Lebensgeschichte zu erzählen: „Ich bin Hamburger, groß geworden in Eppendorf. Ich bin früh ins Kinderheim gekommen, war im Internat. Aufgrund meiner Behinderung hab ich immer eine Betreuung gehabt.“ Er setzt eine kleine Pause, holt Schwung: „Mit 18 hab ich gesagt, ihr könnt mich alle mal, Betreuung hin oder her, ich mach jetzt mein eigenes Ding. Wie viele in dem Alter. Ich hab mir eine Wohnung gesucht.“
Doch er kommt auf Dauer mit dem Alleinsein nicht klar: „Alleine wohnen heißt ja auch selber kochen, selber Wäsche waschen; heißt, alleine sein. Und da bin ich in eine Depression gerutscht, wurde Drehtürpatient im Krankenhaus Ochsenzoll. Die Abstände wurden immer kürzer und die Aufenthalte immer länger.“ Zum Glück kommt er in einer Wohngruppe im Rauhen Haus unter, kann schließlich einen Neubeginn wagen. Aber wie soll der aussehen? Für eine solche Wohngruppe ist er zu selbstständig, alleine wohnen will er nicht. Er will nicht, dass es wieder los geht mit dem Briefe nicht öffnen, nicht ans Telefon gehen, nicht den Briefkasten leeren, bis der Strom abgestellt ist, die Wohnung gekündigt wird und alles wieder über ihm zusammenstürzt. Also nimmt er das Angebot an, dass ein gesetzlicher Betreuer sich um seine rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten kümmert.
Doch mit seinem ersten Betreuer kommt er nicht gut klar: „Er hat nie etwas mit mir abgesprochen. Und es musste immer ganz schnell gehen. Ich brauche aber eine Vorlaufzeit.“ Also beantragt er beim Gericht einen Betreuungswechsel, was gar nicht so einfach ist: „Man muss gut formulieren. Du darfst nicht schreiben: ‚Mein Betreuer ist ein Idiot, weil er mir nicht das Geld gibt, um zu meiner Schwester nach München zu fahren.‘ Dann sagt das Gericht: ,Bleiben Sie mal lieber in Hamburg, so wie es auch ihr Betreuer sagt.‘“
Seinen neuen Betreuer hatte Klaus Meier da schon kennengelernt. Beide besuchen gerne das Kulturzentrum in ihrem Viertel und freunden sich langsam an. Und zögern, ob sie ein Betreuungsverhältnis eingehen sollen: „Es ist schließlich was anderes, ob du mit jemandem befreundet bist oder ob der dich beruflich betreut.“ Sie entscheiden sich dann doch dafür. Sieben Jahre ist das jetzt her.
Klaus Meier erklärt, was das praktisch heißt: „Es kommt ein Brief von der ARGE. Mein Betreuer fragt mich: ‚Na Klaus, willst du da alleine hingehen oder soll ich mitkommen?‘ Wir sprechen darüber, er begleitet mich, er unterstützt mich. Er entlastet mich, weil ich Horror vor Behörden hab. Es ist ein Teil meiner psychischen Behinderung, Teil meiner Krankheit – warum und wieso auch immer.“
Er versteht nicht, warum nicht mehr Menschen, die aus eigener Kraft ihr Leben nicht schaffen, sich einen Betreuer suchen: „Alleine stolperst du. Wenn ich jetzt stolpere, falle ich zwar auch – aber nicht so tief. Wenn du etwas nicht hinkriegst, wenn du es wirklich nicht schaffst, dann musst du diese Selbstständigkeit abgeben. Damit der Druck weggeht.“ Für ihn hat sich dieser Schritt gelohnt: „Ich habe ein Stück meiner Selbstständigkeit abgegeben – und ein Stück Unbeschwertheit und Freiheit zurückgewonnen.“
Er muss grinsen, will sich verkneifen, was er sagen will, spricht es dann aber doch aus: „Ich habe übrigens gar keinen Betreuer. Ich habe einen persönlichen Sekretär.“
Uwe Skambraks lacht. „Ich bin auch schon als ‚Sekretär‘ vorgestellt worden.“ Er sitzt im Büro des „Bergedorfer Betreuungsvereins“, wo er Betreuer berät wie auch Betreute und deren Angehörige. Und er ist selber Betreuer. Aus verständlichen Gründen mag er nicht im Detail über seine Klienten reden. Nur so viel: „Es ist ein spannender Job, in dem kein Tag wie der andere verläuft.“ Aber „druckfest“ müsse man sein. Druckfest? „Na, nicht gleich einknicken, wenn eine Behörde einen Antrag ablehnt oder die Krankenkasse nicht einspringen will.“ Und dann seien es eben nicht immer die einfachsten Menschen, die zu betreuen sind – und für die man als Betreuer einfach einzustehen habe.
Ein Beispiel: „Häufig kommen Beschwerden aus der Nachbarschaft. Da lebt jemand, den ich betreue, so ganz anders, sammelt und hortet, es ist da nicht so sauber. Stichwort: Messie. Nun vertrete ich nicht die Interessen der Nachbarn, kann sie aber auch nicht außer Acht lassen. Ich muss gucken, dass ich dem Menschen, den ich betreue, gerecht werde. Vielleicht leidet er ja auch darunter? Und wenn ich nun eine Entrümpelung anordne, wozu ich befugt bin, was löst das bei ihm aus?“ Uwe Skambraks gießt Kaffee nach: „Wichtig ist zu schauen, was gibt es für Alternativen?“ Und was wäre jetzt eine Alternative? „Vielleicht eine Haushaltshilfe einrichten, die nicht nur im Haushalt hilft, sondern gelegentlich ein wenig Müll rausbringt und so den Konflikt entschärft.“ Er lehnt sich zurück: „Bei diesem Beruf ist Fantasie gefragt. Und man muss die Leute respektieren – gerade in ihrem Anderssein.“
Von daher ist es ihm wichtig, Menschen zu beraten, die darüber nachdenken, Betreuer zu werden, beruflich oder ehrenamtlich, was immer öfter vorkommt. Schließlich ist es eine Aufgabe, die Fingerspitzengefühl verlangt, Durchsetzungsvermögen und nicht zuletzt Kenntnisse von Krankheitsbildern wie dem der Demenz. Und auch ein Händchen für Paragrafen ist nicht verkehrt, denn wichtige Entscheidungen müssen mit dem Betreuungsgericht abgesprochen werden, das einmal im Jahr den Verlauf der Betreuung überprüft.
„Nicht jeder ist für den Job geeignet“, sagt Uwe Skambraks. „Besonders nicht Menschen, die einen missionarischen Drang haben, die sich in das Leben anderer einmischen wollen, und sei es aus noch so guter Absicht.“ Und dann müssen sie zueinander passen, der Betreuer und der zu Betreuende: „Man muss auch den Mut haben, ein Betreuungsverhältnis zu beenden, wenn nichts Gutes dabei entsteht.“
Er will jetzt seine Arbeit nicht zu sehr loben, und ein Betreuer ist nicht verpflichtet, in einem Verein zu sein. Aber gerade für einen ehrenamtlichen Betreuer sei das doch eine gute Sache: „Geht es etwa um eine Heimunterbringung und wird dem Betreuer ein ausgeklügelter, 30-seitiger Heimvertrag vorgelegt, ist es sehr hilfreich, wenn er den einem unserer Juristen mal vorlegen kann, statt ihn einfach nur zu unterschreiben.“
Uwe Skambraks sieht einen wachsenden Bedarf an Betreuern. Nicht nur, weil wir älter werden und nicht jeder im hohen Alter allen Anforderungen standhalten kann. Sondern auch, weil Mittel und Zeit knapp geworden sind: „Früher gab es in den meisten Pflegeheimen angestellte Sozialarbeiter, die den Bewohnern etwa bei ihrem Schriftverkehr halfen. Das leisten die dort heute nicht mehr, da müssen Betreuer einspringen.“ Er denkt auch an sich selbst: „Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Und dann kommen die Medikamente, Aufenthalte in der Psychiatrie, und die Freunde entfernen sich.“ Er setzt sich auf seinem Stuhl aufrecht hin und sagt: „Das Eis, auf dem wir alle uns bewegen, es ist nicht allzu dick.“
Text: Frank Keil
Foto: Mauricio Bustamante
Die hiesigen Betreuungsvereine erreichen Sie unter http://homepage.hamburg.de/hamburgerbetreuungsvereine