Obdachlose spielen Theater : „Den erhobenen Zeigefinger gibt’s bei uns nicht“

Mit viel Herzblut und einer ordentlichen Portion Selbstironie bringt das Amateurtheater „Obdach-Fertig-Los“ Stücke über Obdachlosigkeit auf die Bühne. Und sucht weitere Mitstreiter.

(aus Hinz&Kunzt 237/November 2012)

Erst Fleischsalat, dann Ente. Jeden Dienstag das gleiche, lieb gewonnene Ritual. Wenn Gerhard Arland und seine Theatergruppe „Obdach-Fertig-Los“ sich zur Probe treffen, schmiert sich erst mal jeder ’ne Stulle. Als Nachtisch kommt die Ente zum Einsatz, ein gelbes Quietscheding, auch „Is’-was?-Ente“ genannt. Wer sie vor sich stehen hat, erzählt den anderen von seinen Sorgen oder von schönen Erlebnissen. „Dieser Ablauf hat sich bewährt“, sagt Gerhard. „Hinterher haben alle den Kopf frei, und wir können uns aufs Spielen konzentrieren.“

Den gegenseitigen Austausch vor den Proben finden die 15 Theatermacher wichtig, Sorgen haben sie genug: Sieben von ihnen waren längere Zeit obdach- oder wohnungslos, die meisten beziehen Hartz IV oder sind Geringverdiener. Wenn sie nun Szenen vom Leben auf der Straße nachspielen, wissen sie, wie ihre Figuren ticken. „Aber wir machen das immer mit einer ordentlichen Portion Selbstironie“, erklärt Arland. „Den erhobenen Zeigefinger gibt’s bei uns nicht.“

Der 71-jährige Rentner ist Mitbegründer und Manager von „Obdach-Fertig-Los“, dabei kam er nur durch Zufall zum Theater: „Ich war früher Quartalstrinker“, erzählt er. Vor rund 22 Jahren habe seine Freundin, „heute meine Frau“, ­gesagt: „Gerd, hör auf mit dem Quatsch, such dir ’ne sinnvolle Freizeitbeschäftigung.“ Er suchte – und fand sie im Norderstedter Amateurtheater als Schauspieler für Kindertheaterstücke. „Räuber Hotzenplotz, Karlsson vom Dach – solche Sachen haben mir gefallen“, schwärmt er.

Im Café eines Männerwohnheims der Heilsarmee traf er dann den damaligen Hinz&Kunzt-Verkäufer Klaus Lenuweit. „Er hat seine Erlebnisse als Obdachloser in Gedichtform rezitiert“, erinnert sich Arland. „Das hat mich tief beeindruckt.“ Gemeinsam schrieben sie eine Neufassung der Weihnachtsgeschichte – „mit dem Jesuskind in einem Einkaufswagen von Penny“ – und führten diese mit Bewohnern des Männerwohnheims auf: „Das kam so gut an, dass wir unbedingt weitermachen wollten.“

Seitdem ist „Obdach-Fertig-Los“ nicht nur in vielen Stadtteilen in Hamburg, sondern in ganz Norddeutschland, Berlin und sogar in Prag aufgetreten – immer vor begeistertem Publikum. „Wir sind alle mit Herzblut bei der Sache“, sagt der Theatermacher. „Was gibt es da Schöneres als Anerkennung durch Applaus?“

Die Gruppe will auch in Zukunft weitertouren, braucht dafür allerdings zwei Helfer: für die Organisation und die Kasse. „Auch neue Mitspieler sind willkommen“, sagt Arland. Als Zuschauer gehe er übrigens am liebsten auf den Kiez, ­ins St. Pauli Theater. „Wenn Ulrich Tukur da auftritt, bin ich ­jedes Mal dabei.“

Text: Maren Albertsen

Obdach-Fertig-Los e. V., Telefon 551 41 11, www.obdach-fertig-los.de, nächster Aufführungstermin von „Nestkälte“: 16.11., 19 Uhr, Engelbekhof, Vinzenzweg 10c (Harburg), Eintritt 8 Euro, Infos und Karten unter Telefon 70 10 63 54